Digitale Medienbildung

11. Mai 2012

Internetpranger – ein problematisches Mittel

Immerhin zwei Mal bin ich heute über den Begriff des Internetprangers gestolpert:

Fall 1: Die Online-Zeitung 20 minuten titelt in der Ausgabe vom 11. Mai 2012: „Wer in der Zürcher Bastel-Boutique Leibundgut stiehlt, landet am Pranger: Fotos der Überwachungskamera werden im Laden an eine Wand gehängt.“ Und die Meinung der Zeitung wird gleich hinzugefügt:  „Die Massnahme ist illegal.“ Der Sachverhalt ist schnell zusammengefasst: Wer an der Kasse von Zürichs grösster Bastel- und Dekorationsboutique zahlt dem fallen die an die Wand gehängten Bildern mit gut erkennbaren Gesichtern auf. Auf die Frage, wer da abgelichtet sei, antworte die Bedienung stets: „Kunden, die nicht gerne zahlen.“ Der darauf von 20 minuten angesprochene Inhaber des Geschäfts rechtfertigt sich: „Es sind von der Überwachungskamera ausgedruckte Screenshots von Leuten, die in unserem Laden gestohlen haben.“

Der Sachverhalt ist in diesem Fall einfach und klar: Einmal verstösst dieser Pranger gegen das Datenschutzgesetz.  Auch die Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) findet diese Art von Pranger problematisch, meint sie doch gegenüber 20 minuten: „Das ist unverhältnismässig. Das Bild-Material gehört in die Hände der Strafverfolgungsbehörde. Wir leben in einem Rechtsstaat“, sagt EDÖB-Mediensprecherin Eliane Schmid.

Wie ist es aber, wenn die Strafverfolgungsbehörden (sprich: die Polizei) sich den Internetpranger selbst zunutze machen, wie dies immer häufiger geschieht (z.B. bei randalierenden Fussball-Fans oder nach Ausschreitungen wie jenen vom 1. Mai).

Fall 2: Hier kommt der Tages-Anzeiger vom 11. Mai 2012 zum Zug, der den Fall eines Mannes schildert, der von der Stadtpolizei Baden an den Internetpranger gestellt wurde: „Es ist samstagmorgens um 3.47 Uhr. Mit roher Gewalt zerrt ein Mann im Muskelshirt an der Eingangsschranke in die Tunnelgarage beim Bahnhof Baden. Als er die Szenerie verlässt, baumelt die Schranke hinunter. Ein alltäglicher Vandalenakt mit einem Sachschaden von 700 Franken.“ Das Bild des Täters erschien darauf in der „Aargauer Zeitung“ und Blick.ch publizierte  ein Video der Tat.

Der Tages-Anzeiger stellt dazu, die Frage, ob dieses Vorgehen nicht übertrieben sei. Durch den Internetpranger hätten Tausende den Mann und sein Gesicht gesehen. Möglicherweise bleibe das Video für immer im Netz – und das bei einem Deliktsbetrag von 700 Franken. Der stellvertretende Kommandant der Stadtpolizei räumte denn auch gegenüber der Zeitung ein, dass der Sachschaden relativ gering sei. Der Polizei sei es bei der Herausgabe des Filmmaterials vor allem um zwei Dinge gegangen: den Täter ermitteln und abschrecken. „Jeder Vandale soll wissen, dass er gefilmt und allenfalls via publizierte Bilder gesucht wird“, sagte stellvertretende Kommandant. Dabei verwies er darauf, dass in Badens Parkhäusern jährlich Vandalismusschäden für 250’000 Franken entstehen.

Nun ist es keine einfache Sache, das Interesse am Datenschutz und jenes an der Gefährdung der Öffentlichkeit durch eine Straftat abzuwägen. Dennoch scheint man heute zugunsten eines schnellen Erfolgs den Internetpranger immer häufiger und leichtfertiger zu nutzen.  Gerade die Bemerkung des Tages-Anzeiger-Journalisten, dass solche Bilder und Videos möglicherweise für immer im Netz bleiben, führt zur Polizei zurück.

Diesmal zur Stadtpolizei Zürich. Diese schreibt in einer Broschüre ( „Geschichten aus dem Internet“) zur Internet-Prävention: „Wenn du Fotos und Videos ins Internet stellst, sei dir bewusst, dass andere Personen sie weiter verbreiten können. Denn digitale Bilder sind sehr schnell vervielfältigt und in den falschen Fingern. Einmal im Netz, sind sie für immer gespeichert. Denk auch an deine Zukunft: Vielleicht magst du die Bilder in ein paar Jahren nicht mehr sehen oder sie können dir im privaten oder beruflichen Leben schaden.“

Müsste sich dieselbe Polizei nicht auch selbst an diese Zeilen erinnern, wenn sie junge Leute an den Internetpranger stellt. Denn es könnte ja sein, dass ihnen diese Bilder auch noch dann schaden, wenn die Tat längst verjährt ist.

Und noch eine zweite Bemerkung scheint mir wichtig, die aus einem Urteil über einen Fussball-Fan hervorgeht, der im Februar dieses Jahres  vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen worden. Die Bilder einer Überwachungskamera, die von den Stadtpolizeien Zürich und Basel ins Netz gestellt wurden, waren für eine Verurteilung als nicht ausreichend befunden worden. Die Neue Zürcher Zeitung vom15. Februar 2012 macht in ihrem Bericht die Gründe für diesen Freispruch deutlich: „Dem Entscheid, die Bilder zu veröffentlichen, lagen dieselben Foto- und Videoaufnahmen zu Grunde wie dem Gerichtsentscheid. Die Anklage beschrieb den Inhalt des Videos wie folgt: ‚Der Beschuldigte war mitten unter den gewaltausübenden Personen, bewegte sich freiwillig mit dieser Gruppe hin und her und war somit Teil dieser gewalttätigen Zusammenrottung.‘ Der Einzelrichter war nach Betrachtung der Aufnahmen aber der Meinung, der Beschuldigte habe sich ‚weg von der Gewalt‘ bewegt. Und auf den Fotos, die als belastendes Material herangezogen wurden, sei ‚so gut wie nichts‘ zu sehen.“

Es stellt sich also die Frage, ob Bilder wirklich das Mittel sind, um Tatsachen objektiv festzuhalten, weil sie die Realität hieb- und stichfest abbilden. Denn letztlich geht es auch bei der Beurteilung von Bildern um eine Interpretation der Wirklichkeit. Es handelt sich also oft nur um eine Pseudo-Sicherheit, wenn man auf die unmittelbare Wahrheit von Bildern vertraut. Es kann sogar sein, dass das vermeintlich unbestechliche Bild mehr von der Wahrheit verschleiert als darauf hinführt.

 

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