Digitale Medienbildung

20. März 2023

Kinder müssen eine politische Stimme haben

Filed under: Medienpädagogik — heinzmoser @ 09:38

Diese Beitrag für infosperber kommentiert einen Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung zum Thema von Kinderexpert/innen und schlägt eine Brücke zur politischen Bildung

Laut Lucien Scherrer, Redaktor bei der «NZZ», gebärden sich heute viele Journalisten als Anwälte und Sprachrohre der Kinder: «Sie lassen Schüler und Kindergärtlern erklären, was die Politik zu tun hat, zitieren Aussagen von Siebenjährigen, als wären es Orakelsprüche.» Die Zeitung sieht darin eine Manipulation von vornehmlich linksgrüne Journalistinnen und Journalisten:  Medien zitieren Kinder als politische Subjekte, die mitbestimmen sollen – aber nur da, wo es in den Kram der Journalisten passe. Ob es vornehmlich linksgrüne Politik ist, die sich so verhält, kann man bezweifeln. Aber ungerechtfertigt ist die Kritik an den Medien nicht.

So wird als Beispiel aus einem Bericht des Westdeutschen Rundfunks der siebenjährige Leon zitiert: «Meistens fahren die Autos richtig schnell, und ich finde, dass man eher laufen soll als fahren, weil die Autos dann Umweltverschmutzer sind.»

Wie Kinder im Berliner «Tagesspiegel» Probleme lösen

Anstoss erregt beim NZZ-Autor auch eine Serie des Berliner «Tagesspiegels», in der Kinder «Berlins Probleme» lösen – und da sträuben sich die Nackenhaare zu Recht.  So antworten Kinder zum Beispiel In Folge 33 vom 14.3.2022 auf die Frage: «Wie verhindert man einen Krieg wie den in der Ukraine?» Die Redaktion fand folgende Vorschläge «innovativ»:

Mio, 5 Jahre alt: Welchen Krieg meinst du, den von Putin? Praktisch wäre, wenn es einen Typ mit Superkraft geben würde, der dafür sorgt, dass alle Menschen sich lieb haben.

Bruno, 5 Jahre alt: Immer wenn Leute vorschlagen, Kriege zu machen, einfach der Polizei Bescheid sagen und die kommt dann und sorgt für Ordnung.

Rike, 4 Jahre alt: Putin einsperren!

Und am 19.4. 2022 wollte der «Tagespiegel» wissen, wo man bei steigenden Lebensmittelpreisen und Heizkosten sparen kann:

Antonia, 8 Jahre alt: Auf mehr verzichten, zum Beispiel auf Süssigkeiten. Dann ist mehr Geld übrig und die Zähne werden nicht schlecht

Johan, 6 Jahre alt: Ich kann auf Gemüse verzichten!

Die Rezepte der befragten Kinder sind wie überall in der ganzen Serie simpel gestrickt. «Jöö» und «schnusig» muten solche Vorschläge an. So sind sie eben, unsere Kleinen. Zwar geht der NZZ-Redaktor zu weit, wenn er unterstellt, damit verpasse man ihnen eine Vorliebe für «grün-sozialistische Rezepte». Schliesslich passen Beispiele wie Johans Gemüseverzicht kaum zu dieser politischen Einordnung. Aber natürlich hat er Recht, dass man kleine Kinder nicht ernst nimmt, wenn man als «Expertenmeinungen» in die Zeitung stellt, was kleine Kinder so daher plappern.

Das Kindchenschema wertet ab

Bei der «Tagesspiegel»-Serie fällt zudem auf, dass Kinderaussagen immer wieder mit Fotos bebildert werden, die dem sogenannten Kindchenschema entsprechen. Nach dem Dorsch – Lexikon der Psychologie geht es dabei um die rundlichen kindlichen Körper- und Gesichtsproportionen, die als Schlüsselreiz gedeutet werden und Kümmerungs- und Fürsorgeverhalten auslösen. Süss und niedlich sind die Kleinen mit ihren Aussagen, wird damit suggeriert.

Das Kindchenschema für den politischen Nachwuchs, den man damit nicht mehr ernst nehmen muss, fällt auch bei Fotos von Greta Thunberg und ihrem Klimaprotest auf. Das gilt nicht allein für die Bilder, sondern auch für manche Texte. So kommentierte die «Zeit» einen Auftritts Thunbergs in Berlin, nicht die Anhänger der neuen Jugendbewegung «Friday for Future» würden da am lautesten applaudieren, «sondern deren Mütter und Väter an der Seitenlinie oder zu Hause an den Bildschirmen.» Laut «Zeit» sind es die Eltern, die sich mit dem Engagement der Kinder schmücken und voll Ergriffenheit twittern, wie sich das Familienleben von heute auf morgen verändert habe.

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss verstärkt werden

Allerdings ist das Narrativ, dass man Kinder und Jugendliche zu politischen Fragen nicht ernst nehmen kann, ebenfalls zu einfach gestrickt. Schliesslich sind es die heute Heranwachsenden, die Krisen wie den Klimawandel ausbaden werden. Deshalb ist die Stimme von Jugendlichen und Kindern wichtig. Sie müssten bei der Meinungsbildung und der Äusserung ihrer Anliegen unterstützt und nicht heruntergemacht werden.

Förderung von Engagement und Partizipation der heranwachsenden Generation ist dabei weit mehr als die Produktion journalistisch verwertbarer Statements. Eine Medienarbeit, welche politische Bildung auf sinnvolle Weise unterstützt, muss Kinder und Jugendliche auf Augenhöhe ansprechen und sie bei der Einordnung von Nachrichten und Informationen zu politischen Ereignissen nicht allein lassen. Beispiele dafür sind Kindernachrichtendienste wie «logo!» des ZDF oder Suchmaschinen wie «Blinde Kuh».

Auch die Schweiz sendet mit den «SRF Kids News» Nachrichten aus der Schweiz und der ganzen Welt, die für Kinder verständlich erklärt sind. Jede Woche gibt es ein neues Video auf dem YouTube-Kanal «SRF Kids News» und auf Play SRF, damit Kinder Ereignisse, von denen sie im Alltag hören, besser einordnen können.

Die Kids kommen dabei regelmässig auch selbst zu Wort. Wenn sie zum Beispiel in Beiträgen zum internationalen Frauentrag vom 8. März 2023 einbezogen werden, dann geht es um ernsthafte Diskussionen, welche an die eigene Generation gerichtet sind und das Engagement der Beteiligten dokumentieren. Es wird deutlich, dass Kinder aus ihrer Perspektive kritisch, aber manchmal auch zu Recht verständnislos reagieren. So kommen ihnen Einspieler aus Diskussionen um die Einführung des Frauenstimmrechts von 1971 wie Stimmen von einem anderen Stern vor. Die Erwachsenen waren eben damals mit ihren Stammtischmeinungen nicht schlauer als die heutigen Kinder und Jugendlichen.

12. Februar 2023

Chat-GPT verunsichert Schule und Gesellschaft

Filed under: Uncategorized — heinzmoser @ 12:44

Mein Artikel zu diesem Thema, der in der Online Zeitschrift „Infosperber“ am 10.2.2023 erschienen ist, wird hier nochmals abgedruckt. Er ordnet die Entwicklung der kündtlichen Intelligenz eine und verweiset auf Möglichkeiten und Gefahren dieser Technologie

Artikel auf infosperber.ch https://www.infosperber.ch/bildung/chat-gpt-revolutioniert-die-kuenstliche-intelligenz/

21. Januar 2023

Zahlen mit Münz und Nötli ist zunehmend verpönt

Filed under: Uncategorized — heinzmoser @ 20:51

Heinz Moser /   Droht dem Bargeld bald das Ende? Sogar der Schweizer Bundesrat findet, niemand sollte verpflichtet sein, Bargeld zu akzeptieren.

«Absolute Frechheit – so etwas habe ich bisher noch nicht erlebt.» Hermann B. wollte noch seinen Kaffee austrinken und dann zu seiner Sitzung gehen. Doch mit Barzahlung war nichts, und seine Karte hatte er Zuhause vergessen. So musste er eine Kollegin bitten, mit ihm zum Café zurückzukommen, – «und das alles für die paar Peanuts, die ein Kaffee kostet», meinte er später verärgert.

Die Erfahrung, dass Bargeld unerwünscht ist, machen Kundinnen und Kunden in der Schweiz immer häufiger. Die Weihnachtsmärkte haben das all jenen verdeutlicht, welche dort in stimmungsvoller Atmosphäre nach passenden Geschenken Ausschau hielten. Doch wer nicht mit Karte zahlen wollte, der musste oft unverrichteter Dinge weiterziehen. Ohne Karte oder Twint läuft heute auf Märkten und in Hofläden fast nichts mehr. Ein Hauptargument für Händlerinnen und Händler: So gibt es keine Kasse mit Bargeld mehr, die Diebe plündern könnten.

Immer häufiger nur noch mit Karte

Bargeldloses Bezahlen ist auch in Medienberichten häufig ein Thema: Laut TagesAnzeiger fällt im letzten Herbst das «Cash-only» der Zürcher Xenix-Bar: Sie wird in Zukunft auch Bezahlkarten und Twint akzeptieren. Einige weitere Beispiele: In der Filiale der Bäckerei Buchmann an der Universitätsstrasse in Zürich gibt es Gipfeli und Sandwiches nur noch mit Karte. «No cash» gilt auch für «Frau Gerolds Garten» und für die Cafékette Vicafé. Fühlte man sich früher unwohl, wenn man ohne einen Batzen Geld aus dem Haus ging, so gibt einem heute eher die Plastikkarte und das Handy Sicherheit. So hat man jederzeit Zugang zu seinem Konto und muss beim Einkaufen nicht lange überlegen, ob man genügend Geld dabei hat. Und sollte man doch einmal Bargeld benötigen, auch dann ist das digitale Zahlen nicht weit weg. Mit der Plastikkarte kann man dann bei Migros oder der SBB Bargeld beziehen.

Während früher schon wegen der Gebühren das Abheben von Geld oder das Bezahlen mit Karte nur bei grösseren Summen üblich war, so begleicht man heute auch Parkgebühren oder Kleineinkäufe am Kiosk mit Plastikgeld. Auch für öffentliche Toiletten braucht es keine abgezählten Münzen mehr, sondern man steckt die Karte ein. Im Luzerner Bahnhof muss man sogar zwingend eine Karte oder das Handy dabeihaben, um die Toilette zu benutzen. Laut SBB ist das bargeldlose Zahlen hygienischer, und die Zutrittssysteme sind weniger störungsanfällig. Bis 2035 sollen zudem alle Billetautomaten aus Bahnhöfen, Bussen und Trams verschwinden.

Der Umbruch hat auch die Banken erfasst: In Deutschland wird die Raiffeisenbank Hochtaunus ihre Filialen schliessen und die Kunden nicht mehr mit Bargeld versorgen.Viele Banken beschränken zudem den kostenlosen Bargeldbezug. Oft gibt es einen Mindestbetrag bzw. eine begrenzte Anzahl kostenloser Bargeldbezüge pro Monat. Es ist abzusehen, dass in naher Zukunft die Bancomaten verschwinden werden und damit auch die spektakulären Sprengungen und Betrugsversuche einer vergangenen Zeit angehören.

Das schweizerische Forschungsprojekt «Swiss Payment Monitor» hat 2022 untersucht, wie man in der Schweiz zahlt: Die Bargeldnutzung liegt noch auf einem recht hohen Niveau. Aber immerhin verzichtet schon eine von sieben befragten Personen (15%) komplett auf Bargeld im Portemonnaie. Mobil wurde am häufigsten mittels QR-Code bezahlt (29,3% der Anzahl Transaktionen) oder via NFC (23,7%). Dann folgen Apps mit integrierter Bezahlfunktion (22,0%).

Vor allem bei den Jungen ist der Trend zum bargeldlosen Zahlen stark. Eine Studie des Online-Vergleichsdienstes Moneyland hat festgestellt, dass junge Erwachsene am liebsten mit EC- oder Kreditkarte sowie per Smartphone zahlen. Nicht zuletzt sind handybasierte Zahlungslösungen bei den 18- bis 49-Jährigen beliebt.

Twint startet durch

Immer beliebter ist in der Schweiz das Zahlsystem «Twint», das die Technologie des QR-Codes für stationäre Zahlungen nutzt, obwohl man lange gegenüber einer schweizerischen Sonderlösung skeptisch war. Das Handy auf einen Bezahlterminal auflegen und «twinten» ist jedoch für viele Schweizerinnen und Schweizer selbstverständlich geworden – ähnlich wie ganz Schweden mit «Swish» bezahlt. Gemäss Erhebungen des  Swiss Payment Monitor ist Twint die mit Abstand meistgenutzte mobile Bezahllösung in der Schweiz: 71,3 Prozent des Umsatzes und 61,4 Prozent der Anzahl Transaktionen mit mobilen Geräten werden mit Twint erledigt.

Diese schöne neue Mobilwelt wird bald in ganz Europa einziehen. Twint plant in Deutschland und Österreich mit der dortigen Bluecode-App zusammenzugehen. Die Bluecode Bezahlstellen kann man in diesen Ländern dann auch mit Twint benutzen. Diese «Interoperabilität» der mobilen Bezahlsysteme soll in ähnlicher Weise auf 16 Länder ausgeweitet werden, die sich in der EMPSA zusammengeschlossen haben, der «European Mobile Payment Systems Association».

Der Bericht des Bundesrats

Auch der Bundesrat hat sich kürzlich über die Zukunft des digitalen Bezahlens geäussert. Sein Fazit: Bargeld verliere tendenziell gegenüber bargeldlosen Zahlungsmitteln an Bedeutung. Dies sei auf die gestiegene Attraktivität von bargeldlosen Zahlungsmitteln hinsichtlich Nutzerfreundlichkeit und Geschwindigkeit zurückzuführen. Die Beliebtheit des kontaktlosen Bezahlens sei auch auf die Corona-Pandemie zurückzuführen.

Zwar betont der Bundesrat, dass Bargeld weiterhin wichtige Funktionen für Wirtschaft und Gesellschaft übernehme und die bargeldlosen Zahlungsmittel nicht vollständig ersetzen könne. Dennoch spricht er sich gegen eine Annahmepflicht von Bargeld aus. Dies wäre für ihn ein zu starker Eingriff in die Wirtschafts- und Vertragsfreiheit. Zugang zu Bargeld und seine Akzeptanz seien in der Schweiz trotz Einschränkungen gut gewährleistet. Auch wenn einzelne Gaststätten oder andere Dienstleistungsfirmen keine Barzahlung akzeptieren, stehen den Kundinnen und Kunden genügend Alternativen zur Verfügung.

Klare Kante fehlt

Wenn an vielen Orten Bargeld nicht mehr angenommen wird, gibt es allerdings auch Verlierer, die immer mehr vom digital geprägten Alltag ausgeschlossen werden: Angehörige der älteren Generation, die digitales Bezahlen nie genutzt haben und ihre Rechnungen am Monatsende bis heute noch mit dem gelben Postbüchlein in der Hand bar bezahlen, werden grosse Mühe haben, auf die neuen Zahlungsmöglichkeiten umzustellen. Auch wenn man Tickets für Bus und Bahn nur noch online lösen kann und die Verkaufsschalter endgültig geschlossen werden, wird das Alltagsleben für all jene erschwert, die keinen PC oder kein Smartphone haben. Formulare und Gebühren, die online auszufüllen und zu bezahlen sind, stellen Hürden dar, die nur mit Hilfe computergewohnter Personen zu überwinden sind.

Gerade Menschen, die kein Einkommen und kein Bankkonto haben, sind auf Bezahlen mit Bargeld nach wie vor angewiesen. Auch der Bundesrat betont in seinem Bericht die «finanzielle Inklusion», nämlich dass Bargeld es Personen ohne Bankkonto oder Zugang zu bargeldlosen Zahlungsmitteln ermöglicht, am Wirtschaftsleben teilzunehmen.

Insgesamt laviert der Bundesrat zwischen einem Plädoyer fürs Bargeld und einer Ablehnung der Pflicht, Bargeld anzunehmen. Es fehlt dem Bericht eine klare Kante: Bargeld soll bleiben, aber eine Pflicht zur Annahme gibt es nicht. Dabei gibt es weit schärfere Argumente, welche Zweifel säen: Elektronisches Bezahlen könnte ein weiterer Schritt zum gläsernen Menschen sein. Wenn massenweise alle Transaktionen von Geld digital festgehalten werden, dann werden die Menschen und ihr Verhalten immer genauer erfasst – nicht nur, was sie kaufen, sondern auch wo und wie. Mit dem Zugriff auf das Kartenkonto könnte ein fürsorglicher Staat direkt eingreifen: Wo die Konten am Monatsende gegen Null tendierten, könnten diese automatisch gesperrt werden.

«Citizens Score» als Mahnung

Ulrich Horstmann und Gerald Mann, die ein Buch über die Abschaffung des Bargelds geschrieben haben, befürchten, dass in Zukunft «der Staat entscheidet, wer als bedürftig gilt und wer nicht.» Über bargeldloses Bezahlen werde der gläserne Zahler möglich, wo es für Wohlverhalten «Credits» gibt. Zur Veranschaulichung ihrer Kritik verweisen sie auf den «Citizen Score» in China (S. 52), wo schon 2018 bei Bürgern mit niedrigem Sozialpunktestand Zug- oder Flugreisen verweigert wurden.

Gemäss der Bertelsmann Stiftung dient der chinesische Citizen Score der Überwachung, Bewertung und Regulierung des finanziellen, sozialen, moralischen und möglicherweise politischen Verhaltens der Bürger Chinas – und auch der Unternehmen des Landes – über ein System von Bestrafungen und Belohnungen. Das Ziel sei es, «den Vertrauenswürdigen Vorteile zu verschaffen und die Unzuverlässigen zu disziplinieren.» Dazu wird mit «Big Data» vom Staat und von privaten Plattformen wie Alibaba auf breiter Front Daten gesammelt – bis hin zum Einsatz von Überwachungskameras. George Orwells Roman «1984» lässt grüssen.

Die Euphorie ist weg

Mit dem Klimawandel und dem Krieg in der Ukraine ist die Euphorie über das Verschwinden des Bargelds zusätzlich geschrumpft. Die neuen Systeme des Bezahlens sind von ihrer digitalen Vernetzung – und damit vom Strom und funktionierenden Netzen – abhängig. Ein Crash in der Stromversorgung oder auch Cyberattacken können unabsehbare Folgen haben. Einen Vorgeschmack solcher Folgen gab es in der Schweiz im vergangenen Herbst zu spüren, als bei Coop die Kartenterminals wegen einer technischen Störung schweizweit nicht mehr funktionierten. Viele Kunden liessen ihre Ware einfach bei den Selbstbedienungskassen liegen, als alles stillstand. Wenn aber wie beim Ukraine-Krieg die Elektrizität flächendeckend ausfällt, bleiben Türen und Kassen für alle verschlossen – und man kann höchstens noch mit dem verpönten Bargeld das Lebensnotwendigste kaufen.

Solche Erfahrungen sorgen für vermehrte Vorsicht gegenüber einer vorschnellen Abschaffung des Bargelds. Sogar Schweden, wo ein bargeldloses Zeitalter bereits in der näheren Zukunft erwartet wurde, beginnt zurückzurudern. So schlägt Stefan Ingves, Chef der schwedischen Zentralbank, in der Zeitschrift «Focus» Alarm: «Falls das Licht einmal ausgeht, brauchen wir in diesem Land genügend Bargeld, auch weit draussen in irgendeinem Wald, damit wir auf Scheine und Münzen zurückgreifen können». Er fordert, die Banken per Gesetz zu verpflichten, für den Notfall eine bestimmte Bargeldmenge vorrätig zu halten.

Das führt zum Paradox: Gerade jetzt, wo die Skepsis wieder grösser wird, kommt das bargeldlose Zahlen im Alltag bei uns richtig in Schwung. Dabei wäre es klüger, die Annahmepflicht für Bargeld nicht einfach auszusetzen. Denn damit bliebe zumindest ein Notvorrat an Barem überall bestehen.

Beitrag in infosperber vom 21.1.2023

10. Dezember 2022

Advertoriale und Informationen

Filed under: Medienkritik,Uncategorized — heinzmoser @ 10:59
Tags: ,

Der untenstehende Artikel auf „infosperber“ zeigt, wie schwierig es ist Informationen „richtig“ zu bewerten. Auch in Qualitäszeitungen versteckt sich Werbung mitten im redaktionellen Teil.

«Advertoriale» und die NZZ am Sonntag – infosperber

„Dem Kybun-Schuh wird also auf dieser Seite nicht nur in der Schlussanzeige ein Denkmal gesetzt. Schon das Interview mit dem Schuhpionier ist auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt als die kommentierenden Äusserungen des Wirtschaftsprofessors zur Energiepolitik. Denn ganz klein steht neben der Titelzeile «Advertorial». Die Leistungen des Schuhpioniers, soll das wohl heissen, werden im Sinne eines Advertorials beschrieben, was uns Leserinnen und Lesern kaum auffällt.

Google sei Dank kann man sich im Netz auch gleich informieren, was ein solches Advertorial ist: Es kombiniert die Begriffe «Advertisement» (Anzeige) und «Editorial» (Leitartikel) – und das heisst nichts anderes, als dass Werbeanzeigen in der Form eines redaktionellen Beitrags erscheinen (Ausschnitt).

2. Mai 2021

Die Schule in der Corona Krise

Filed under: Uncategorized — heinzmoser @ 09:20
Tags: , ,

Mit dem Ende von Schulschliessungen ist die Bildungskrise noch nicht vorbei. Es wird ein Brückenjahr nötig werden, um Bildungsrückstände aufzuholen und Kinder und Jugendliche gezielt zu fördern. Es wird aber zu spät sein, wenn die Planungen dazu erst im Sommer erfolgen. Noch einen vertanen Sommer können wir uns gesellschaftlich nicht leisten.

Zur Situation gibt mein neuer Beitrag auf „Infosperber“ einen Einblick:

12. Februar 2021

Teslas Gigafactory

Filed under: Uncategorized — heinzmoser @ 10:46

Wer von Digitalisierung und technologischem Wandel spricht, kommt um das Beispiel der Tesla Gigafactory in Brandenburg und Berlin nicht herum. Auch wer im Bildungsbereich die Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Wandel diskutieren will, erhält damit ein spannendes Beispiel. Denn Tesla steht nicht nur für E-mobilität, sondern auch für „autonomes Fahren“. Tesla ist nicht allein Autobauer sondern ein breit aufgestellter Technologiekonzern.

Das autonome Fahren kann ein Lehrstück zum Thema der Digitalisierung unseres Alltags und den darauf bezogenen gesellschaftlichen Wandel sein.

Dies spricht mein folgender Beitrag auf „Infosperber“ an:

8. Februar 2021

Die Corona-Narrative zum Schulunterricht

Gerd Altmann, Pixabay

Seit sich das mutierende Virus verbreitet, geht eine fast panische Angst vor einer erneuten Schliessung der Schulen um. An vielen Orten wurden in den letzten Tagen Schüler und ganze Schulhäuser in Quarantäne geschickt. In Deutschland haben vielerorts die Schulen nach Weihnachten noch gar nicht aufgemacht, und in der Schweiz stellen lokale Corona-Ausbrüche die Frage in den Raum, wie lange es mit offenen Schulen noch gut geht. Durchhalteappelle vermischen sich in der Presse mit Berichten zu immer neuen Ausbrüchen in Schulhäusern.

Das dominierende Narrativ zu Präsenz- vs. Fernunterricht

Im Hintergrund dieser Besorgnis steht das Narrativ des Präsenzunterricht, der ein Leben zurückbringen soll, wie es für Kinder und Jugendliche vor den Pandemiezeiten war. Dieses vorherrschende Narrativ wiederholt das Mantra hundertfach, dass die Schulen und damit der Präsenzunterricht unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Fernunterricht könne schon deshalb keine Alternative sein, weil damit die Eltern zu ungefragten Lehrpersonen werden – und zudem die Qualität des Fernunterrichts den Ansprüchen an Bildung nicht genügt. Befürchtet wird, dass eine «lost generation» heranwächst, die als Langzeitfolge nur ungenügenden Bildungschancen erhalten haben, was als Folge der Corona-Krise ihre Berufs- und Lebenschancen in gravierender Weise reduziert.

Schüler und Schülerinnen die
o tagsüber am Computer zocken,
o Aufgaben allein und isoliert bearbeiten müssen, auch wenn sie diese nicht richtig verstehen,
o Hilfe von ihren Eltern bei Lernstoff beanspruchen, den diese selbst nicht richtig beherrschen.

Das sind nur einige der Befürchtungen, die häufig geäussert werden. Zielgrösse des Unterrichts ist nach diesem Narrativ allein der Präsenzunterricht, Fernunterricht kann höchstens eine vorläufige Nothilfe sein, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und das Infektionsgeschehen solche drastischen Schritte verlangt.

Das Narrativ vom netzwerkbasierten Unterricht

Allerdings sollte man Fernunterricht und Homeschooling zu Zeiten der Schulschliessungen nicht ausschliesslich schlecht reden. Es gibt nicht nur enttäuschende Ergebnisse. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer haben auch spannende Lernaufgaben und -projekte ausgearbeitet. Für manche Schülerinnen und Schüler war das selbständige Lernen ausserhalb der Schule positiv gegenüber der «normalen» Schulroutine.

Das Lernen unter Bedingungen der Pandemie nimmt zudem vorweg, wie wir alle in Zukunft unseren Alltag gestalten werden – nämlich unter viel stärkerem Bezug auf die virtuellen Möglichkeiten des Handeln und Lernens. Soziale Kompetenzen werden nicht nur in der Alltagspräsenz wichtig sein, sondern auch im Umgang und Einbezug von virtuellen Anforderungen an unsere Lebenswelt. Wir leben zunehmend in einer Mixed Reality, die «Online» und «Offline» miteinander verbindet.

In diesem Sinne ist der Unterricht im Homeschooling nicht nur eine Notfallmassnahme, sondern ein eine Investition in ein künftiges Lernen, das in Zukunft vermehrt im Unterricht zum Tragen kommen muss. Wie es die untenstehende Grafik von Microsoft zeigt, leben wir in einer Welt, die das ganze Spektrum zwischen der physischen- und digitalen Welt abbildet.

Abb. 1: Das Spektrum der «gemischten Realität» (https://news.microsoft.com/de-de/microsoft-erklaert-was-ist-mixed-reality-definition-funktionen)

Die «gemischte» Realität ist nicht nur eine Frage der technischen Einbindung digitaler Elemente in die alltägliche Wahrnehmung – indem die direkte visuelle Wahrnehmung durch künstliche Elemente «angereichert» wird. Der Begriff einer «Mixed Reality» geht auf das Projekt von Microsoft Hololens zurück, wo hochauflösende 3D-Hologramme im Sichtfeld der Nutzer/innen eingeblendet werden. Darüber hinaus gehend bedeutet «Mixed Reality»:  Wir sind in unserem Alltag generell in Netze einbezogen, mit denen wir gleichzeitig real und virtuell verbunden sind.

Mixed Reality
Der Begriff der «Mixed» Reality entstand im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die virtuelle Ebene einer künstlichen Realität. Die künstlichen Welten des Cyberspace mit den Versuchen, virtuelle Welten im Rahmen eines «Second Life» zu kreieren, gehören hier ebenfalls dazu wie das Konzept einer «Augmented Reality», wo virtuelle Elemente das reale Sichtfeld überlagern. Die Firma Intel erklärt dies auf ihrer Website: «AR überlagert digitale Informationen mit realen Elementen. Pokémon GO gehört zu den bekanntesten Beispielen». Und weiter heisst es im Intel-Text:
Auch der Begriff der Mixed Reality (MR) gehört in diesen technischen Kontext: «MR lässt die reale Welt und digitale Elemente miteinander verschmelzen. In der so ‘vermischten Realität’ interagieren Sie sowohl mit physischen als auch virtuellen Gegenständen und Umgebungen und manipulieren diese mithilfe von Sensor- und Bildverarbeitungstechnik der neuesten Generation. Bei der Mixed Reality nehmen Sie die Welt um sich herum mit allen Sinnen wahr, auch wenn Sie mit Ihren Händen mit einer virtuellen Umgebung interagieren; und dazu müssen Sie Ihr Headset nie abnehmen».
https://www.intel.com/content/www/us/en/tech-tips-and-tricks/virtual-reality-vs-augmented-reality.html

Der Begriff der Mixed Reality kann aber auch aus seinem technischen Kontext gelöst werden und zur Bezeichnung einer «gemischten Realität» verwandt werden, wo sich im Alltag generell Elemente der künstlichen und der realen Welt mischen. Beispiele dazu sind:

– Meine Bankgeschäfte erledige ich virtuell mit dem E-Banking. Die Auswirkungen meiner Transaktionen widerspiegeln sich direkt in meinem physischen Alltag, wo mir die Online verwalteten Geldmittel zur Verfügung stehen.

– Elektroautos lassen in Zukunft ein auf Algorithmen basierendes «autonomes Fahren» zu. Damit ergeben sich im gemischten Kontext eine Vielzahl neuer Fragen – etwa wer bei einem (physischen) Unfall letztlich die Schuld trägt.

– Nachrichten, welche in einem virtuellen Medium abgesetzt werden, haben direkte Auswirkungen in der Realität, wie ich als Schreibende/ Schreibender wahrgenommen werde.

Das Narrativ eines netzwerkbasierten Lernens

Auf diesem Hintergrund geht es nicht mehr darum, die Realität einer ausschliesslichen Alltagspräsenz zu retten. Vielmehr sind Schule, Unterricht und Lernen in eine «Mixed Reality» einbezogen, die je nach Lernzielen und Lernformen mehr die Möglichkeiten des Lernens in der Präsenz oder virtuelle Projekte und Online-Formen des Lernens in den Vordergrund rückt. Es ist ein Narrativ des netzwerkbasierten Lernens, das sowohl das reale Kommunikationsnetzwerk der Schülerinnen und Schüler im schulischen Unterricht wie das Online-Lernen in ausserschulischen Kontexten umfasst.

Das bedeutet für die Schulen, in diesen beiden Netzwerken eine Flexibilisierung der Lernkontexte zu befördern und vermehrt auf die Durchlässigkeit zu ausserschulischen Lernwelten zu setzen. Je nach Bildungszielen und gesellschaftlichen Bedingungen kann vermehrt auf «Online» oder «Offline» gesetzt werden – je nach den Erfordernissen einer optimalen Förderung. Bei jedem Lernschritt, den Lehrerinnen und Lehrer planen, wird es in Zukunft wichtig sein zu überlegen, wie On- und Offline Lernen zu verbinden sind.

Für das Lernen in der Pandemie heisst das, weniger einem vergangenen Präsenzunterricht nachzutrauern, als experimentell und kreativ Lernformen zu finden, die Bildung auch unter den schwierigen Bedingungen der gegenwärtigen Infektionslage ermöglichen. Wenn Schüler/innen in Quarantäne gehen, muss man Online-Lernen verstärken und ein Coaching einrichten, das die Schülerinnen und Schüler ausserschulisch unterstützt. Anstatt dem Präsenzunterricht nachzutrauern, wird es im netzwerkbasierten Lernen darum gehen müssen, aufgrund der Pandemiesituation eine sinnvolle Balance zwischen On- und Offline zu finden.

Netzwerkbasiertes Lernen

Abb. 2: Modellierung des netzwerkbasierten Lernens

Lernen kann in Offline- oder Online- Netzwerken modelliert werden. Die Lernschritte werden flexibel auf die jeweiligen Lernkontexte angepasst (im obigen Beispiel: Lernschritte 1 und 3 offline, Lernschritt 2 online).

Dieses Plädoyer für ein netzwerkbasiertes Lernen soll zweierlei ermöglichen:

1. Es soll das Schulsystem davon entlasten, alle Bemühungen allein auf die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts zu richten – ein Handlungsmuster, das schnell zu einer vergeblichen Sisyphusarbeit umgedeutet werden kann.

2. Es soll deutlich werden, dass die Entwicklung einer gemischten On- und Offline- Struktur für das Schulwesen auch als Investition in eine Schule zu verstehen ist, wie sie sich nach der Pandemie im Zusammenhang mit einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft entwickeln wird. Denn die Schule bereitet in Zukunft nicht nur verstärkt auf ein Leben in Mixed Realitys vorher; sie muss dieses Modell auch in ihre Unterrichtsformen aufnehmen.

Heinz Moser, 8.2.2021

13. Januar 2021

Bald könnten die Schulen wieder schliessen

Filed under: Corona,Coronakrise,Internet,Medienbildung,Schule — heinzmoser @ 22:17
Tags:

Die Diskussion über Schulschliessungen hat die Schweiz über das Wochenende 10./11. Januar 2021 wieder mit aller Schärfe erreicht. Besorgnis erwecken vor allem die mutierten Varianten des Virus, die in Grossbritannien und anderen Ländern für eine explosive Verbreitung des Virus sorgen.

Die Schweiz selbst hat sich mit ihrer irritierenden Politik in den Skigebieten einen Vorgeschmack verschafft, was in den nächsten Wochen drohen könnte: Erst ging alles darum, den Ski-Tourismus aufrechterhalten. Denn man wollte auf Gäste -«aus der Schweiz», wie es hiess – nicht verzichten und liess im Dezember auch Gäste aus Grossbritannien augenzwinkernd passieren. Und nun hat man begründete Angst, dass damit auch die ansteckendere Variante des Virus aus Grossbritannien verbreitet wurde.

Damit verbreitete sich die Panik vor dem mutierten Virus in Windeseile. Schon wurde als Konsequenz für die nächsten Wochen wieder ein harter Lockdown ausgerufen. Was dies für die Schulen bedeutet, dokumentiert ein Blick in die Presse des letzten Wochenendes :

Die Sonntagszeitung des TagesAnzeigers rekapituliert nochmals, dass Schulschliessungen im Moment politisch in der Schweiz nicht als sinnvoll gesehen wurden: Bundesrat Alain Berset habe vor den Medien klargestellt, dass es in der Schweiz zumindest vorderhand keinen national orchestrierten Shutdown der Schulen geben werde. Die Formulierung mit «Wenn» und «Aber» und «vorderhand» wird noch dadurch verstärkt, dass eine neue Studie der ETH-Zürich die Rolle der Schule bei der Pandemie wieder stärker betont. Laut einer Mobilitätsanalyse von Handydaten ist hier als Ergebnis festgehalten worden: «Laut der Studie senkten die Schulschliessungen von Mitte März die Mobilität um 21,6 Prozent. Nur zwei Massnahmen haben demnach die Bewegungen noch stärker eingeschränkt. Nämlich das Versammlungsverbot für mehr als fünf Personen (minus 24,9 Prozent) sowie die Schliessung von Restaurants, Bars und Geschäften (minus22,3 Prozent).»

https://www.tagesanzeiger.ch/so-effektiv-sind-schulschliessungen-263641399795

Dabei ging man bisher von der These aus, dass Schulen – und insbesonders die Volksschulen – kein Treiber der Pandemie seien. Auf dem Zürichberg hatte die Universität Zürich – also die Konkurrenz der ETH – eben noch in einer eigenen Studie namens «Ciao Corona» Entwarung  gegeben.  In einer Medienmitteilung der Universität Zürich hiess es am 2.12.2020:

«Die Universität Zürich hat zum zweiten Mal bei 2’500 Zürcher Schulkindern getestet, ob sie sich mit dem neuen Coronavirus infiziert haben. Die Untersuchung mit Antikörpernachweis zeigt: Knapp 8 Prozent aller Kinder hatten bis Mitte Oktober eine Corona-Infektion durchgemacht. Keine ganzen Schulen und nur sehr wenige Klassen zeigten eine Häufung von Corona-Infektionen. Zudem konnte in einer Substudie von Anfang Dezember das Virus mittels Akuttests (Abstrich) bei nur einem von 641 Kindern nachgewiesen werden.»

https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2020/CiaoCorona.html

Als Erziehungswissenschaftler kann man da nur resigniert den Kopf schütteln. Es fällt allerdings auf, dass die wissenschaftlichen Methoden, die für oder die Schliessung argumentieren, sehr unterschiedlich angelegt sind. Fakt ist aber, dass die Frage der Schliessung von Schulen wieder stärker in den Vordergrund rückt. Nach der ersten Welle hoffte man, dass der Spuk bald vorübergehe und man die Schulen im neuen Schuljahr geöffnet lassen könne.

Massnahmen im Schulbereich

In der aktuellen Diskussion stellt sich wieder die Frage, wie man im Schulbereich angesichts steigender Infektionszahlen vorgehen könnte.

Unter dem Titel «Schulen bereiten sich auf dritte Welle vor» wird im «Blick» ein ganzes Massnahmenpaket vorgeschlagen, Dazu gehören:

  • Die Schutzkonzepte sollen verstärkt werden. Maskenpflicht könnte auch auf die oberen Primarschulklassen ausgeweitet werden.
  • Halbklassenunterricht oder gestaffelter Unterricht könnte als Option vorgesehen werden.
  • Quarantäne Regel und mehr Testen müssten konsequenter durchgeführt werden

https://www.blick.ch/politik/nur-im-notfall-fernunterricht-schulen-bereiten-sich-auf-dritte-welle-vor-id16283767.html?fbclid=IwAR2Jq8yIJLrdr13aM-PU2%E2%80%A6

Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner hatte sich davor in einem Interview mit dem TagesAnzeiger ganz ähnlich geäussert: Für sie ist der Fernunterricht nur der letzte Ausweg und Bestandteil eines kompletten Lockdowns. Zu den Alternativen dazu betont sie:

«Man darf nicht vergessen, wir haben schon heute gute Schutzkonzepte: Es gilt ausgedehnte Maskenpflicht, Einschränkungen im Sportunterricht, Hygieneauflagen und Unterricht auf Distanz. Die Bildungsdirektion hat darum für die Schulen ein spezialisiertes zusätzliches Contact-Tracing aufgebaut. Dieses ergänzt das kantonale Contact-Tracing, um vertieft die schulische Situation zu klären und die Schulen zu beraten. So kann man auf lokale Ausbrüche möglichst rasch reagieren. Derzeit ist die Infektionszahl bei den unter 18-Jährigen relativ tief.»

https://www.tagesanzeiger.ch/dann-gehen-sie-plakativ-gesagt-einfach-ins-shoppingcenter-350722207612

Alle diese vorgeschlagenen Massnahmen sind noch dieselben wie im Frühling dieses Jahres. Ausser dem Präsenzunterricht scheint es keine Alternativen zu geben – weil auch der Fernunterricht nicht unbedingt ein erfolgreiches Unterrichtskonzept darstellt. Eine gewisse Phantasielosigkeit angesichts der verstärkt grassierenden Pandemie scheint vorherrschend zu sei.

Digitales Lernen als Alternative zum Präsenzunterricht

Selbstverständlich muss der Weg letztlich zum Präsenzunterricht zurückführen. Und dies ist möglich, sobald die Pandemie – durch die anstehenden Impfungen – im Sommer dieses Jahres überwunden sein wird. Doch gerade das netzbasierte Lernen (nicht ein altbackener Fernunterricht) gibt Möglichkeiten einer sinnvollen Überbrückung.

Einzelne aktive und kreative Lehrpersonen haben in den letzten Monaten bereits angedeutet, was hier möglich wäre. So berichtet die Neue Zürcher Zeitung aus der Primarschule Zumikon und zitiert deren Schulleiter Philipp Apafi:

«Er sieht möglichen erneuten Schliessungen grundsätzlich gelassen entgegen. Seine Schule sei vorbereitet. Man habe zwei Konzepte in der Schublade: eines für Fernunterricht, eines für Unterricht mit halben Klassen, wie er im Lockdown einige Zeit durchgeführt wurde. In den letzten Monaten habe die Schule ausprobiert, was mit digitalen Mitteln möglich sei: Kinder in Quarantäne nahmen online am Unterricht teil. Auch Lehrer hätten bereits auf diese Weise Unterrichtsstunden aus der Quarantäne gehalten: Während ihre Schüler im Klassenzimmer sassen, wurden die Lehrer per Laptop zugeschaltet und waren so im Klassenzimmer «präsent». «Das hat erstaunlich gut geklappt», sagt Apafi. Das Kollegium bespreche sich inzwischen viel häufiger online und lade externe Fachleute digital ein.»

https://www.nzz.ch/zuerich/corona-in-zuerich-die-schulen-sind-fuer-schliessungen-vorbereitet-ld.1594819

Was netzbasierter Unterricht ermöglichen könnte

Verheissungsvoll als flankierendes Massnahmenbündel der Schulen erscheint weniger der traditionelle «Fernunterricht», sondern die konsequente Nutzung eines netzbasierten Unterrichts, der die «realen» Kontakte in den Schulhäusern reduziert und dennoch herausfordernde Lernanlässe für die Schülerinnen und Schüler schafft. Wie im Zeitungsbericht angedeutet: Quarantänen von Schülerinnen und Schülern können durch Online-Lernen ergänzt werden, Lehrpersonen durch Zuschaltung per Laptop zu neuen Kontaktformen geführt werden. Dabei ist essentiell, dass solche Lernformen nicht auf Betreuung und Coaching durch reale Lehrkräfte (zum Beispiel durch pensionierte Lehrpersonen und solche aus Risikogruppen, durch Studierende etc.) verzichten.

Didaktische Formen wie Wochenpläne und projektbasiertes Lernen können das selbständige Lernen der Schülerinnen und Schüler in schulische Strukturen einbinden, die auch das Kontaktmanagement unter Quarantänebedingungen einbeziehen. Zudem wären ständige Lerngruppen von zwei  bis drei Schülerinnen und Schülern zu bilden, was verhindert, dass immer wieder neue Gruppen mit unbekanntem Ansteckungsrisiko entstehen.

Meines Erachtens wäre es wichtig, auf der didaktischen und unterrichtlichen Ebene Massnahmen zu entwickeln, um so über reine Hygieneregeln und hygienische Schutzmassnahmen hinauszukommen. Ziel wäre es, mit geeigneten didaktischen Massnahmen den Bildungsprozess der Schülerinnen und Schülern auch in einer Situation zu unterstützen, wo an eine umfassende normale Präsenz im Klassenzimmer nicht gedacht werden kann.

Vor allem müsste versucht werden, ein Minimum von Jahrgangszielen auch unter solche erschwerenden Bedingungen zu erreichen – dies über einen geschickten Mix von «Online-» und «Offline»-Lernen, der auch soziale Kompetenzen in beiden dieser Bereiche vermittelt. Dabei geht es nicht allein um Lernen und Verhalten in der Präsenz, sondern auch in den digitalen Räumen, welche das zukünftige Leben der heranwachsenden Generationen ohnehin viel massgeblicher prägen werden als dasjenige ihrer Eltern.

Heinz Moser

6. Januar 2021

Schule: Wenig gelernt im Umgang mit Corona

Der verheissungsvolle Ausspruch des schweizerischen Bundesrates Alain Berset hiess schon im Sommer des letzten Jahres «Wir können Corona». Doch er hätte den Mund besser nicht zu voll genommen: Die Pandemie ist nirgends im Griff, und die Situation der Schulen zeigt, dass bis heute Konzepte fehlen, die über Schliessungen und Fernunterricht hinausgehen. Das könnte katastrophal enden, wenn sich die Lage in den nächsten Wochen nochmals verschlimmert.

Nach dem Neujahrswechsel sind die Bedenken wieder gewachsen, die Schulen zu öffnen. Die hohe Zahl und die Mutation des Virus, der ansteckender geworden scheint, haben die Diskussion verschärft. In Deutschland berichtet «tagesschau.de» anfangs Januar von einem breiten Konsens, dass es keine Rückkehr zum Regelbetrieb gebe. Gefordert wird zum Beispiel der Wechselunterricht in Halbklassen.

In der Schweiz zweifelt gemäss «TagesAnzeiger» Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), an der Wirksamkeit der aktuellen Corona-Massnahmen. Sollten die Zahlen wieder steigen, würden Schulschliessungen wieder zum Thema. Engelberger begründet dies damit, dass Schulen eine Taktgeberin im Alltag darstellen. Allerdings sind diese nach Engelberger die Ultima Ratio und letztmögliches Mittel (https://www.tagesanzeiger.ch/bei-steigenden-zahlen-werden-schulschliessungen-wieder-thema-584560898889). Wenn Kinder nach dem Lockdown im Frühling bereits wieder für Wochen ohne Schule wären, stellt sich die Frage, wie – vor allem bei den schwächeren Schüler/innen – die Bildungsziele für dieses Schuljahr noch erreicht werden können.

Für Unruhe sorgen in vielen Schulen zudem auch Quarantänen für einzelne Schülerinnen und Schüler oder für ganze Gruppen. Je nach Situation führt dies dazu, dass der Bildungsstand der Kinder immer weiter auseinanderklafft. Das macht das Unterrichten für die Lehrkräfte auch im Präsenzunterricht schwieriger; denn das gemeinsame Fundament fehlt, auf dem sie aufbauen können.

Insgesamt bleibt die Situation der Schulen im Moment instabil: Der schweizerische Bundesrat verzichtet im Moment noch auf die Schliessung der Schulen, während Deutschland diskutiert, ob man die Weihnachtsferien nicht verlängern müsste – um erst in Stufen zur Normalität zurückzukommen. Weiterhin ist die Schliessung der Schulen fast der einzige Ausweg, wenn die gegenwärtigen Corona-Massnahmen noch weiter verschärft werden sollten. Es wird vielleicht schon bald wieder zum Fernunterricht kommen – ergänzt um Wechselunterricht mit der halben Klasse, wenn es nicht gelingt die Fallzahlen deutlich zu reduzieren.

Und dies, obwohl der Fernunterricht seit den Erfahrungen des Frühlings sehr zwiespältig diskutiert wird. Schon im Dezember 2020 befand in der Schweiz die Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektionen (EDK): «Die Konferenz sei sich einig, dass eine flächendeckende Rückkehr zum Fernunterricht ‘unter allen Umständen vermieden werden’ müsse, sagt ein Sprecher auf Anfrage der NZZ (Neue Zürcher Zeitung). Die Schulen hätten eine soziale Verantwortung.» (https://www.nzz.ch/schweiz/lehrerverbaende-lehnen-eine-verlaengerung-der-weihnachtsferien-ab-ld.1592888).

«Fernunterricht» und «netzbasierter» Unterricht

Wenn der Fernunterricht allerdings als einzige Möglichkeit gesehen wird, digitales Lernen in der Pandemiekrise einzusetzen, so ist dies eher ein Teil des Problems als dessen Lösung. Denn der traditionelle Fernunterricht ist schon im 20. Jahrhundert entstanden und funktionierte am Anfang noch mit Lernaufgaben und -texten, die per Post verschickt wurden. Kopiert man dieses Lernmodell, dann bedeutet «Fernunterricht», über das Internet Haus- und Lernaufgaben zu verschicken, die von den Lehrpersonen ganz traditionell korrigiert und bewertet werden.

Das Resultat solcher Lernumgebungen aus dem letzten Jahrhundert ist ein Unterricht als lehrer/innenorientierte Veranstaltung, der kaum etwas mit experimentellen, konstruktivistischen oder partizipativen Lernformen zu tun hat. Eine Reduktion von Kontakten wird auf diese Weise möglich – aber es resultieren kaum befruchtende Lernkontakte im Netz. Dabei nutzen Kinder und Jugendliche die sozialen Medien in der Freizeit schon seit Jahren intensiv und souverän. Auch wenn der Freizeitumgang mit diesen Medien nicht einfach eins zu eins auf den schulischen Kontext übertragen werden kann, ist mindestens ein Anknüpfungspunkt vorhanden, auf den sich Online-Lernen stärker beziehen müsste.

Beim Aufbruch zu neuen Ufern sollte man für die Möglichkeit, digitalisierte Lernmittel in Coronazeiten einzusetzen, besser nicht von «Fernunterricht» sprechen bzw. dieses Modell als Zukunftsperspektive übernehmen. Vielmehr geht es um die Unterstützung des Lernens in einer Krisensituation durch «netzbasiertes Lernen». Ziel ist nicht einfach die Reduzierung von physischen Kontakten. Es geht auch darum, mit netzbasierter Kommunikation den Austausch zwischen Lehrpersonen und Schüler/innen und zwischen den Schülerinnen und Schülern bewusst zu fördern und zu gestalten, bzw. zur Unterstützung des Lernens mit den Möglichkeiten des Netzes zu experimentieren.

Auch reale Kontakte, wie sie der Wechselunterricht anbietet, müssten in einen Mix von «Online» und «Offline» einbezogen werden, der sich nicht einfach als ungenügende Nothilfe im Zeitalter der Pandemie versteht und sich dabei allein an der verlorenen Welt eines ausschliesslichen Präsenzunterrichts orientiert. In realen Präsenzkontakten können zum Beispiel Partnerarbeiten zwischen Schülerinnen und Schülern vorbereitet werden, welche diese dann zu zweit im Online-Kontakt ausarbeiten und wieder in die Halbklasse zur Präsentation zurückgebracht werden. Es gibt viele weitere Möglichkeiten, Online und Offline miteinander auf sinnvolle Weise zu verbinden.

Lehrkräfte als Teamleiter/innen

Falsch ist auch die Vorstellung, dass Präsenzunterricht betreut ist, während die Online-Arbeit höchstens unter der Kontrolle der Eltern geschieht. Auch Online-Lernen erfordert Betreuung und Anleitung – sei dies z.B. über gecoachte Video-Sessions oder über Formen einer angeleiteten Online-Unterstützung – von Erklärvideos bis hin zu einer Lernbetreuung durch unterstützende Live Chats.

Hier wäre es wichtig, weitere Personenkreise einzubeziehen, so dass die Klassenlehrer/innen entlastet werden. Ihnen müsste für ihren Unterricht ein kleines Team zur Verfügung stehen, das sie gezielt in ihren Klassen einsetzen können. So könnten Lehrkräfte, die zu den Risikogruppen gehören, in mehreren Lerngruppen und in der Online-Betreuung einzelner Schüler/innen tätig werden. Auch Studierende und ehrenamtliche Lehrpersonen (pensionierte oder aus dem Lehrdienst ausgeschiedene ehemalige Lehrer/innen) könnten in solchen Teams mitarbeiten.

Dabei ist davon ausgehen, dass all diese Unterstützungsangebote nur über einen mittelfristigen Zeitraum angeboten werden müssen – etwa bis in den Frühling/ Sommer dieses Jahres – sofern die Impfungen den gewünschten Erfolg bringen. Allerdings wäre es im Sinne einer verstärkten Digitalisierung des Schulwesens wünschbar, Elemente der verstärkten Digitalisierung auch nach der Coronakrise im Unterricht weiterzuführen. Denn die Coronazeit hat deutlich gemacht, dass Digitalisierung ein Bildungsaspekt ist, der heute genauso zur Allgemeinbildung gehört, wie Lesen, Schreiben und Mathematik.

Das angepasste Curriculum im Corona-Stress

Sinnvoll wäre es zudem, das Coronajahr auch bildungsmässig neu einzuschätzen und für dieses Ausnahmejahr zu strukturieren. Denn es wird bei den bereits vollzogenen Schulschliessungen, Quarantäne- und Isolationsfällen kaum möglich sein, von den «normalen» Jahreszielen, die dem Unterricht lehrplanmässig vorgegeben sind, auszugehen. Im Sinne einer Zwischenbilanz müsste überlegt werden, wo eine Schule steht – und was angesichts der kritischen aktuellen Situation noch erreicht werden kann. Es wäre also nach den folgenden drei Aspekten zu fragen:

– Welches sind die Lernziele für alle im Rahmen eines Kerncurriculums, das auch zu Pandemiezeiten auf jeden Fall zu erreichen ist. Flankierende Massnahmen wie eine Lernförderung für schwächeres Schülerinnen und Schüler wären hier in die Überlegungen einzubeziehen.

– Was könnten vertiefende Lernprojekte sein, welche das Pandemiejahr abrunden könnten. Hier wäre es möglich Lernprojekte zu integrieren, welche z.B. das Online-Lernen und die Digitalisierung direkt thematisieren. Man könnte zu Vergleichen mit der Spanischen Grippe auf dem Netz anregen, Quarantäne-Tagebücher im Deutschunterricht verfassen etc.

– Wichtig wäre auch eine unterstützende Lernförderung in Kleingruppen oder im Online-Einzelunterricht. Vor allem müsste hier versucht werden, schwächere Schülerinnen und Schüler und Kinder ausbildungsfernen Bildungsmilieus zu unterstützen.

Für solche grundsätzliche Überlegungen zum Curriculum 2021 besteht noch viel Reflexions- und Handlungsbedarf. Wenn man sich in den Überlegungen nämlich allein auf eine möglichst schnelle Rückkehr zum Präsenzunterricht fokussiert, dann vergibt man jene Chancen, die eigentlich auf der Hand liegen – unter dem gewählten Blickwinkel aber aus dem Blick geraten. Denn entweder trauert die Bildungspolitik der vergangenen Normalität nach oder man resigniert bei all jenen Schülern die zu einer «lost generation» der Pandemie geworden sind.

Heinz Moser

12. Dezember 2020

«S-Clever» und die wenig clevere Schullandschaft»

Heinz Moser

Die grosse Mühe, welche Schulen im Umgang mit der Corona Pandemie zeigen, ist das beste Zeichen dafür, dass sie die Digitalisierung trotz aller Anstrengungen zu einem grossen Teil bisher verschlafen haben. Dazu wird es aber nicht ausreichen, den Akzent primär auf eine Verbesserung der technischen Infrastruktur zu legen – in Deutschland über einen millionenschweren Digitalpakt, mit welchem etwa Tablets und PC’s angeschafft und WLAN in den Schulen eingerichtet wird. Die zwiespältigen Resultate des Fernunterrichts als Notmassnahme in der Corona-Krise verweisen eher darauf, wie weit der Weg zu einer nachhaltigen Nutzung digitaler Medien in den Schulen noch ist.

WLAN und Zugrissmöglichkeiten für alle Schülerinnen und Schüler sind zwar eine Voraussetzung für Formen des Unterrichts, welche dem Online-Lernen eine neue Bedeutsamkeit im Bildungsprozess von Kindern und Jugendlichen verschaffen könnten. Doch dies funktioniert solange nicht, wie die Potenziale der digitalen Medien für die Gestaltung des Unterrichts nicht ausgeschöpft werden. Symbolträchtig für die Versäumnisse der letzten Jahre ist es, dass man die Handys am liebsten aus den Schulen verbannte, anstatt damit zu experimentieren, wie sie auf kreative Weise zum Lernen genutzt werden könnten. Angesichts der ungenügenden Vorbereitung auf die Digitalisierung, die den Schulalltag nach wie vor prägt, kann die Pandemie der letzten Monate auch als Weckruf verstanden werden.

Schulleiter beurteilen das Lernen in der Pandemie

Diese Schwierigkeiten mit der Digitalisierung belegt die Studie «S-Clever», in deren Rahmen gemäss der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) in diesem Jahr rund 300 Schulleiterinnen und Schulleiter aus den Kantonen Zürich, Aargau, Luzern, St. Gallen und Thurgau befragt wurden. Die Resultate der unter der Leitung von Katharina Maag Merki von der Universität Zürich durchgeführten Studie fasst die «NZZ» zusammen:

«Die Studie «S-Clever» kommt zu dem Schluss, dass ein eigentlicher Digitalisierungsschub stattgefunden habe. Bis im März war digitales Lernen vor allem an den Primarschulen kein grosses Thema. Nach Ende des Lockdowns nutzt nun mindestens die Hälfte, teilweise bis zu 80 Prozent der Schulen Online-Plattformen für den Unterricht, zum Austausch von Lernmaterialien, zur Kommunikation mit Schülerinnen, Schülern und Eltern oder für den Kontakt der Kinder untereinander.

Die Studie, die von Universitäten in der Schweiz, Deutschland und Österreich durchgeführt wird, zeigt allerdings auch, dass die Digitalisierung des Unterrichts keineswegs ein Selbstläufer ist. Von den befragten 299 Schulleitern (64 Prozent Primarstufe, 25 Prozent Sekundarstufe, 10 Prozent Primar- und Sekundarstufe, 1,3 Prozent Gymnasien) benötigen zwei Drittel Support beim Fernunterricht, bei der Kombination von Präsenz- und Selbstlernphasen sowie der Förderung von Kindern, die besonders unterstützt werden müssen.»

(https://www.nzz.ch/schweiz/coronavirus-schulen-wollen-mehr-unterstuetzung-fuer-fernunterricht-ld.1590389.

Fernunterricht ist kein Selbstläufer

Der Beitrag der NZZ verweist allerdings auf ein Missverständnis, wenn ausgesagt wird, dass die Digitalisierung des Unterrichts kein «Selbstläufer» sei. Denn das kann und sollte die Digitalisierung des Unterrichts auch nicht anstreben. Digitalisierung kann nicht bedeuten, dass das Lernen in digitalisierten Lernräumen ohne Betreuung und Unterstützung von Lehrkräften erfolgt. Wie dieses Missverständnis in die Praxis des Fernunterrichts im Lockdown Eingang fand, zeigt der «Wechselunterricht» in Halbklassen, der aktuell auch vor Schulschliessungen in der «zweiten Welle» der Pandemie bewahren soll. Denn «Wechselunterricht» bedeutet, dass die Hälfte der Klasse im Präsenzunterricht lernt, die andere Hälfte Aufgaben für den Homeunterricht erhält. Weil die Lehrpersonen durch den Präsenzunterricht ausgelastet sind, ist ausgemacht, dass die Schülerinnen und Schüler keine personelle Unterstützung oder Coaching durch die Schule erhalten. Und dies – obwohl, wie es im Text der NZZ heisst, zwei Drittel Support im Fernunterricht benötigten.

Was hier unterschlagen wird: Die Digitalisierung der Schulen heisst nicht, dass dies Lehrerinnen und Lehrer überflüssig macht.  Online Lernen bzw. Lernen in digitalen Kontexten ist kein «0-Betreuungs-Unterricht», wo die Schülerinnen und Schüler mit ihren Lernaufgaben ganz auf sich allein gestellt sind.

Das Dilemma ist offensichtlich: Wechselunterricht halbiert die pädagogische Unterstützung durch die Lehrperson, welche lediglich mit der Hälfte der Klasse in Präsenz arbeitet. Selbständiges Lernen kann indessen nicht einfach mit Aufgaben erreicht werden, welche ohne Unterstützung an die Lernenden verteilt werden. Das wäre dann vielleicht möglich, wenn es lediglich um Wiederholen und Üben geht. Aber auch in diesem Fall benötigen viele Schülerinnen und Schüler konkrete Hilfestellungen, wenn ihre Lernschwierigkeiten überwunden werden sollen.

Notbetreuung in der Pandemie

Ein Artikel aus dem Berliner «Tagesspiegel» zeigt das Dilemma besonders anschaulich auf, das mit dem Fernunterricht verbunden ist – dann nämlich, wenn er sich als «Notbetreuung» versteht. Reportagemässig berichtet die Zeitung von der Situation einer Schule in Neuköln:

«Astrid-Sabine Busse, Leiterin der Grundschule in der Köllnischen Heide in Neukölln und Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen, sagte, dass Lehrkräfte, Erzieher und Sozialarbeiter in der Schule arbeiten und die Kinder online, telefonisch und durch direkte Einzelkontakte begleiten werden.

Neben einer Notbetreuung will sie ermöglichen, dass Kindern in die Schule kommen können, die es – etwa wegen familiärer Probleme – nötig hätten. „Und wir werden den Kindern Pakete mit Aufgaben geben, in denen sie auch Überraschungen finden, zum Beispiel etwas zum Basteln oder ein Rezept. Wir wollen schön e Momente schaffen» (Tagesspiegel 10.12.2020).

https://www.tagesspiegel.de/berlin/notbetreuung-und-praesenzfreier-unterricht-so-soll-es-nach-den-weihnachtsferien-an-schulen-und-kitas-in-berlin-weitergehen/26707436.html

Das Beispiel zeigt, wie Notbetreuung kaum inhaltlich argumentiert. Im Zentrum steht, dass Kinder in der Schule irgendwie nicht ganz allein gelassen werden. Sie erhalten dafür «Aufgabenpakete». Gut gemeint und sympathisch ist es dabei, Kindern auch «schöne Momente» wie etwas zum Basteln zu vermitteln. Das ist bei einer kurzen Quarantäne möglicherweise auch sinnvoll. Doch ein Konzept, wie systematisches Lernen an den Bildungszielen einer Schule auch bei längeren Schulschliessungen gesichert werden kann, ist bei solchen Formen einer Notbetreuung kaum vorhanden.  

Digitales Lernen in einer «flexiblen Schule»

Schule muss sich im Zeitalter der Digitalisierung davon lösen, sich auf eine Klassen- und Präsenzveranstaltung zu beschränken, die das alles Lernen jenseits der abgedeckten Klassenzeiten als unbetreute Notfallmassnahmen auslagert. Eine flexible Schule müsste imstande sein, Lernen in unterschiedlichsten Räumen und mit unterschiedlichen Gruppen zu ermöglichen. Mobiles Lernen mit digitalen Hilfsmitteln hat das Potenzial, unterschiedliche Lernräume – auch ausserhalb der Schule – für Bildungsprozesse zu nutzen. Aber in solchen Lernräumen muss immer wieder für Betreuung und Unterstützung gesorgt werden. In der Zeit der Pandemie wäre eine solche Absicherung möglich
– durch Lehrpersonen aus den Risikogruppen, die vom Präsenzunterricht freigestellt sind,
– durch ehrenamtliche Lehrpersonen, die pensioniert sind,
– durch Lehramtsstudenten etc.

Beispiele für solche betreuten Online-Phasen könnten sein:

– Eine ältere Lehrperson übernimmt die individuelle Förderung einer Schülerin, die Mühe in der Rechtschreibung hat. Jeden Tag arbeitet sie mit ihr über einen Videokanal wie «Zoom», stellt Aufgaben, erklärt Lösungsansätze und hält auch Kontakt zu den Eltern.

– Ein Lehramtsstudierender unterstützt Kleingruppen, bei der Organisation und Durchführung eines Unterrichtsprojekts. Diese werden in einem solchen Setting gecoacht, um dann ihre Arbeit in der Klasse zu präsentieren und zu diskutieren.

– Eine Lehrperson, die sich für Erklärvideos interessiert, stellt solche für sich und seine Kollegen auf das schulische Netzwerk. Eine Lehrperson aus der Risikogruppe arbeitet darauf mit Schülerinnen und Schülerinnen, die in Quarantäne sind, online mit diesen Videos. Die Resultate dieser Arbeit werden von den Klassenlehrpersonen im Präsenzunterricht wieder aufgenommen und weitergeführt.

Man kann sich ganz unterschiedliche Formen des digitalen Lernens vorstellen, welche die Phantasie und Kreativität der Lehrenden herausfordern. Insgesamt könnten sie dabei helfen, die Schwierigkeiten der Schulen mit der Pandemie zu verringern – bei Einzelquarantänen wie bei Schulschliessungen. Meines Erachtens würde es sich lohnen, solche Konzepte systematisch aufzubauen und je nach konkreter Schulsituation in angepassten Formen einzuführen.

Ein solcher Reformprozess sollte aber auch auf eine Langzeitperspektive einbezogen sein:  Die verstärkte Digitalisierung der Schulen, die jetzt überall auch für die Nach-Corona-Zeit- postuliert wird, gewährleistet, dass solche Massnahmen nicht «vertane» Zeit darstellen, sondern einen wichtigen Schritt für die zukünftige Organisation der Schulen in einer digitalen Gesellschaft bereits vorwegnehmen.

Nächste Seite »

Bloggen auf WordPress.com.