Die Diskussion über Schulschliessungen hat die Schweiz über das Wochenende 10./11. Januar 2021 wieder mit aller Schärfe erreicht. Besorgnis erwecken vor allem die mutierten Varianten des Virus, die in Grossbritannien und anderen Ländern für eine explosive Verbreitung des Virus sorgen.
Die Schweiz selbst hat sich mit ihrer irritierenden Politik in den Skigebieten einen Vorgeschmack verschafft, was in den nächsten Wochen drohen könnte: Erst ging alles darum, den Ski-Tourismus aufrechterhalten. Denn man wollte auf Gäste -«aus der Schweiz», wie es hiess – nicht verzichten und liess im Dezember auch Gäste aus Grossbritannien augenzwinkernd passieren. Und nun hat man begründete Angst, dass damit auch die ansteckendere Variante des Virus aus Grossbritannien verbreitet wurde.
Damit verbreitete sich die Panik vor dem mutierten Virus in Windeseile. Schon wurde als Konsequenz für die nächsten Wochen wieder ein harter Lockdown ausgerufen. Was dies für die Schulen bedeutet, dokumentiert ein Blick in die Presse des letzten Wochenendes :
Die Sonntagszeitung des TagesAnzeigers rekapituliert nochmals, dass Schulschliessungen im Moment politisch in der Schweiz nicht als sinnvoll gesehen wurden: Bundesrat Alain Berset habe vor den Medien klargestellt, dass es in der Schweiz zumindest vorderhand keinen national orchestrierten Shutdown der Schulen geben werde. Die Formulierung mit «Wenn» und «Aber» und «vorderhand» wird noch dadurch verstärkt, dass eine neue Studie der ETH-Zürich die Rolle der Schule bei der Pandemie wieder stärker betont. Laut einer Mobilitätsanalyse von Handydaten ist hier als Ergebnis festgehalten worden: «Laut der Studie senkten die Schulschliessungen von Mitte März die Mobilität um 21,6 Prozent. Nur zwei Massnahmen haben demnach die Bewegungen noch stärker eingeschränkt. Nämlich das Versammlungsverbot für mehr als fünf Personen (minus 24,9 Prozent) sowie die Schliessung von Restaurants, Bars und Geschäften (minus22,3 Prozent).»
https://www.tagesanzeiger.ch/so-effektiv-sind-schulschliessungen-263641399795
Dabei ging man bisher von der These aus, dass Schulen – und insbesonders die Volksschulen – kein Treiber der Pandemie seien. Auf dem Zürichberg hatte die Universität Zürich – also die Konkurrenz der ETH – eben noch in einer eigenen Studie namens «Ciao Corona» Entwarung gegeben. In einer Medienmitteilung der Universität Zürich hiess es am 2.12.2020:
«Die Universität Zürich hat zum zweiten Mal bei 2’500 Zürcher Schulkindern getestet, ob sie sich mit dem neuen Coronavirus infiziert haben. Die Untersuchung mit Antikörpernachweis zeigt: Knapp 8 Prozent aller Kinder hatten bis Mitte Oktober eine Corona-Infektion durchgemacht. Keine ganzen Schulen und nur sehr wenige Klassen zeigten eine Häufung von Corona-Infektionen. Zudem konnte in einer Substudie von Anfang Dezember das Virus mittels Akuttests (Abstrich) bei nur einem von 641 Kindern nachgewiesen werden.»
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2020/CiaoCorona.html
Als Erziehungswissenschaftler kann man da nur resigniert den Kopf schütteln. Es fällt allerdings auf, dass die wissenschaftlichen Methoden, die für oder die Schliessung argumentieren, sehr unterschiedlich angelegt sind. Fakt ist aber, dass die Frage der Schliessung von Schulen wieder stärker in den Vordergrund rückt. Nach der ersten Welle hoffte man, dass der Spuk bald vorübergehe und man die Schulen im neuen Schuljahr geöffnet lassen könne.
Massnahmen im Schulbereich
In der aktuellen Diskussion stellt sich wieder die Frage, wie man im Schulbereich angesichts steigender Infektionszahlen vorgehen könnte.
Unter dem Titel «Schulen bereiten sich auf dritte Welle vor» wird im «Blick» ein ganzes Massnahmenpaket vorgeschlagen, Dazu gehören:
- Die Schutzkonzepte sollen verstärkt werden. Maskenpflicht könnte auch auf die oberen Primarschulklassen ausgeweitet werden.
- Halbklassenunterricht oder gestaffelter Unterricht könnte als Option vorgesehen werden.
- Quarantäne Regel und mehr Testen müssten konsequenter durchgeführt werden
Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner hatte sich davor in einem Interview mit dem TagesAnzeiger ganz ähnlich geäussert: Für sie ist der Fernunterricht nur der letzte Ausweg und Bestandteil eines kompletten Lockdowns. Zu den Alternativen dazu betont sie:
«Man darf nicht vergessen, wir haben schon heute gute Schutzkonzepte: Es gilt ausgedehnte Maskenpflicht, Einschränkungen im Sportunterricht, Hygieneauflagen und Unterricht auf Distanz. Die Bildungsdirektion hat darum für die Schulen ein spezialisiertes zusätzliches Contact-Tracing aufgebaut. Dieses ergänzt das kantonale Contact-Tracing, um vertieft die schulische Situation zu klären und die Schulen zu beraten. So kann man auf lokale Ausbrüche möglichst rasch reagieren. Derzeit ist die Infektionszahl bei den unter 18-Jährigen relativ tief.»
https://www.tagesanzeiger.ch/dann-gehen-sie-plakativ-gesagt-einfach-ins-shoppingcenter-350722207612
Alle diese vorgeschlagenen Massnahmen sind noch dieselben wie im Frühling dieses Jahres. Ausser dem Präsenzunterricht scheint es keine Alternativen zu geben – weil auch der Fernunterricht nicht unbedingt ein erfolgreiches Unterrichtskonzept darstellt. Eine gewisse Phantasielosigkeit angesichts der verstärkt grassierenden Pandemie scheint vorherrschend zu sei.
Digitales Lernen als Alternative zum Präsenzunterricht
Selbstverständlich muss der Weg letztlich zum Präsenzunterricht zurückführen. Und dies ist möglich, sobald die Pandemie – durch die anstehenden Impfungen – im Sommer dieses Jahres überwunden sein wird. Doch gerade das netzbasierte Lernen (nicht ein altbackener Fernunterricht) gibt Möglichkeiten einer sinnvollen Überbrückung.
Einzelne aktive und kreative Lehrpersonen haben in den letzten Monaten bereits angedeutet, was hier möglich wäre. So berichtet die Neue Zürcher Zeitung aus der Primarschule Zumikon und zitiert deren Schulleiter Philipp Apafi:
«Er sieht möglichen erneuten Schliessungen grundsätzlich gelassen entgegen. Seine Schule sei vorbereitet. Man habe zwei Konzepte in der Schublade: eines für Fernunterricht, eines für Unterricht mit halben Klassen, wie er im Lockdown einige Zeit durchgeführt wurde. In den letzten Monaten habe die Schule ausprobiert, was mit digitalen Mitteln möglich sei: Kinder in Quarantäne nahmen online am Unterricht teil. Auch Lehrer hätten bereits auf diese Weise Unterrichtsstunden aus der Quarantäne gehalten: Während ihre Schüler im Klassenzimmer sassen, wurden die Lehrer per Laptop zugeschaltet und waren so im Klassenzimmer «präsent». «Das hat erstaunlich gut geklappt», sagt Apafi. Das Kollegium bespreche sich inzwischen viel häufiger online und lade externe Fachleute digital ein.»
Was netzbasierter Unterricht ermöglichen könnte
Verheissungsvoll als flankierendes Massnahmenbündel der Schulen erscheint weniger der traditionelle «Fernunterricht», sondern die konsequente Nutzung eines netzbasierten Unterrichts, der die «realen» Kontakte in den Schulhäusern reduziert und dennoch herausfordernde Lernanlässe für die Schülerinnen und Schüler schafft. Wie im Zeitungsbericht angedeutet: Quarantänen von Schülerinnen und Schülern können durch Online-Lernen ergänzt werden, Lehrpersonen durch Zuschaltung per Laptop zu neuen Kontaktformen geführt werden. Dabei ist essentiell, dass solche Lernformen nicht auf Betreuung und Coaching durch reale Lehrkräfte (zum Beispiel durch pensionierte Lehrpersonen und solche aus Risikogruppen, durch Studierende etc.) verzichten.
Didaktische Formen wie Wochenpläne und projektbasiertes Lernen können das selbständige Lernen der Schülerinnen und Schüler in schulische Strukturen einbinden, die auch das Kontaktmanagement unter Quarantänebedingungen einbeziehen. Zudem wären ständige Lerngruppen von zwei bis drei Schülerinnen und Schülern zu bilden, was verhindert, dass immer wieder neue Gruppen mit unbekanntem Ansteckungsrisiko entstehen.
Meines Erachtens wäre es wichtig, auf der didaktischen und unterrichtlichen Ebene Massnahmen zu entwickeln, um so über reine Hygieneregeln und hygienische Schutzmassnahmen hinauszukommen. Ziel wäre es, mit geeigneten didaktischen Massnahmen den Bildungsprozess der Schülerinnen und Schülern auch in einer Situation zu unterstützen, wo an eine umfassende normale Präsenz im Klassenzimmer nicht gedacht werden kann.
Vor allem müsste versucht werden, ein Minimum von Jahrgangszielen auch unter solche erschwerenden Bedingungen zu erreichen – dies über einen geschickten Mix von «Online-» und «Offline»-Lernen, der auch soziale Kompetenzen in beiden dieser Bereiche vermittelt. Dabei geht es nicht allein um Lernen und Verhalten in der Präsenz, sondern auch in den digitalen Räumen, welche das zukünftige Leben der heranwachsenden Generationen ohnehin viel massgeblicher prägen werden als dasjenige ihrer Eltern.
Heinz Moser