Nachdem der Briefmarkenverkauf nicht mehr so rund läuft wie zu früheren Zeiten, sucht Pro Juventute neue Geschäftsfelder – seit neustem eine Partnerschaft mit dem Handy-Provider Sunrise. Das neue Angebot Primobile soll die Eltern mit „zuverlässigen und wenig zeitintensiven Leitplanken“ in ihrer Medienerziehung stärken. Vollmundig versprechen Pro Juventute und Sunrise, mit der Förderung von Medienkompetenz einen Weg zu öffnen, um Kinder altersgerecht mit den Chancen und Risiken der neuen Medien vertraut zu machen.
Doch wie sieht die Förderung der Medienkompetenz in Wirklichkeit aus? Gemäss einer Pressemitteilung von Pro Juventute beinhaltet das Basisangebot von Primobile die unlimitierte Kommunikation via SMS und unlimitierte Anrufe, beides auf vier frei wählbare Basis-Rufnummern zum Pauschalpreis von CHF 249.- pro Jahr. Verbunden ist dieses mit einem passwortgeschützten Internetportal namens Cockpit. Damit können die Eltern dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechende Zusatzangebote freischalten. So kann das Kind Schritt für Schritt auf weitere Rufnummern und das mobile Internet zugreifen. Dazu laden die Eltern per Post, Kreditkarte, Gutschein oder Refill-Karte ein entsprechendes Guthaben auf die SIM-Karte. Primobile lasse sich so laufend dem Entwicklungsstand des Kindes anpassen und schütze Kinder und Jugendliche vor nicht kindgerechten Inhalten und den damit verbundenen Gefahren.
Offen gesagt: Was als Förderung von Medienkompetenz daherkommt, ist eigentlich nur eine raffinierte Verbotsstrategie: Eltern verbieten die freie Nutzung des Handys und entscheiden, wann sie der Meinung sind, ihre Kinder verfügten über die „Medienkompetenz“ für den nächsten Schritt. Mit Anpassung an den Entwicklungsstand der Kinder hat das gar nicht zu tun.
Wann haben die Kinder die Kompetenz entwickelt, „ bis zu sechs weitere Rufnummern zu definieren, mit denen das Kind (kostenpflichtig) kommunizieren kann)“? Und wann sind sie 10- oder 20-Nummern-Kinder? Wie lange geht es dann, bis Kinder entwicklungsmässig so weit sind, dass sie auch das Internet nutzen können? Bei den Geräteempfehlungen von Pro Juventute heisst es denn auch: „Das Samsung C3350 verfügt nicht über WLAN. Wir empfehlen, dass Sie Ihrem Kind erst dann ein WLAN-fähiges Gerät überlassen, wenn Sie ihm einen selbstständigen und kompetenten Umgang mit dem Internet zutrauen.“ Es geht also gar nicht um Medienkompetenz, sondern um das, was Eltern ihren Kindern zutrauen oder nicht.
Schön ist es natürlich auch, dass die Gespräche mit den 4 Basis-Rufnummern werden nach 60 Minuten unterbrochen werde – „zum Schutz Ihres Kindes vor Strahlung und damit Ihr Kind sein Nutzungsverhalten regelmässig reflektieren kann.“ Nur: Welches neunjährige Kind telefoniert eine Stunde am Stück mit seinem Handy?
Doch wie will man Medienkompetenz fördern, wenn man alles verbietet, womit man diese Kompetenz üben und lernen kann? Die Fähigkeit, das Internet zu nutzen, lernt man doch, indem man damit Erfahrungen macht. Zu warten, bis die Fähigkeit am Tag X vom Himmel fällt, um dann die Option freizuschalten, ist schlicht eine unsinnige Vorstellung. Da muss Pro Juventute etwas falsch verstanden haben. „Verantwortungsvoll umgehen mit dem Handy“ lernt man nur, wenn auch Spielräume bestehen – und nicht, indem man diese auf vier Basis-Rufnummern einschränkt. Viel gescheiter ist es, wenn Eltern anstatt Primobile ihren Kindern ein normales Prepaid-Handy zur Verfügung stellen – mit einem festgelegten Guthaben, das sie selbständig verwalten können. So lernen sie ohne Verbote der Eltern mit beschränkten Mitteln ihr Handy so zu nutzen, wie es ihren Bedürfnissen, aber auch ihren (finanziellen) Möglichkeiten entspricht.
Primobil ist ein völlig unnötiges Angebot, das kommerziell auf undefinierte Ängste der Eltern reagiert – und letztlich verhindert, dass Kindern mit ihrem Handy medienkompetent umgehen. Ganz richtig schätzt sein neues Angebot Oliver Steil, CEO von Sunrise Communications ein: „Mit Primobile bringen wir ein Mobilfunkangebot auf den Markt, das genau den Bedürfnissen vieler Eltern entspricht.“ Eben: es entspricht den Eltern und nicht den Kindern!