Digitale Medienbildung

25. Juli 2013

Wie naiv ist die Medienpädagogik?

Filed under: Medien,Medienbildung,Medienpädagogik — heinzmoser @ 10:28
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Ist die Medienpädagogik zu stark auf Medienkritik fixiert? Das ist der Tenor eines Artikels von Philippe Weber und Andreas Pfister in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 25. Juli 2013. Dies sind ganz neue Prügel, welche die Medienpädagogik einstecken muss. Bisher war es gerade umgekehrt: Manfred Spitzer und andere medienkritische Autoren warfen unserer Disziplin einen naiven und verharmlosenden Blick auf die Gefahren der Medien vor. Nur zur Erinnerung ein einschlägiges Zitat aus Spitzers Buch zur „Digitalen Demenz“:

„Aber Herr Spitzer, jetzt übertreiben Sie wirklich maßlos!“, höre ich Medienpädagogen (die von den Medien ja leben und sich aus genau diesem Grund nicht kritisch äußern), Vertreter der freiwilligen Selbstkontrolle und der Medien selbst schon sagen. Das ist zu erwarten. Traurig und aus meiner Sicht viel gefährlicher ist, dass sogar Kirchenvertreter, Politiker, das Gesundheitsministerium, das Bildungs- und Forschungsministerium,die Bundeszentrale für politische Bildung und die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestags in das Hohelied auf die digitalenMedien völlig kritiklos einstimmen (S. 26).

Nun aber attakieren die zwei Gymnasiallehrer aus Zug die Medienpädagogik von der anderen Seite:

„Mit missionarischem Eifer ausgerückte Aufklärer und Medienlehrer, gesandt, um angeblich naive Jugendliche vor den Gefahren des Internets zu warnen, sehen sich heute konfrontiert mit einer neuen Situation: Kritik an den Medien ist längst zu einem Allgemeinplatz geworden – auch für Teenager.“

Wan an dem NZZ-Artikel ärgerlich ist, hängt mit dem Verfahren zusammen, das die Autoren anwenden: Erst bauen sie einen Popanz „Medienpädagogik“ auf, dem sie eine naive Form von „missionarischen Eifer“ unterstellen, um dann umso härter auf ihr Konstrukt einzuprügeln. Doch es ist ja keineswegs die Disziplin der Medienpädagogik, welche mit einem naiven Begriff von Mediengefahren hantiert. Vielmehr sind es Mediziner und Neuropsychologen wie Spitzer, sowie in der Schweiz die neue Zielsetzungen suchende Organisation Pro Juventute oder die Suchtprävention betreibenden Fachleute aus der Polizei, welche auf diese Weise Medienaufklärung betreiben.

Wenn die beiden Autoren dagegen von einer fundierten Medienkritik  Einsicht sowohl in die Konstruiertheit der Medien als auch in die Relevanz dieser Konstrukte verlangen, so ist dies eine Position, welche zu den Grundüberlegungen einer Medienbildung gehört. Die Medienpädagogik versteht sich seit ihrem Beginn in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts denn auch nicht als Fundamentalkritik, sondern als Fürsprache für die Medien als Ressource für eine zeitgemässe Erziehung und Bildung – was ja Autoren wie Spitzer so auf die Palme gebracht hat. Schliesslich kann man aus einer medienpädagogischen Perspektive nur zustimmen, wenn die beiden Autoren in der NZZ festhalten: „Je gründlicher die Kritik, desto höher die Einsicht in die Relevanz. Medienkritik ist eine notwendige Voraussetzung, nicht um über Medien zu schimpfen, sondern um Leistungen und Qualität von Medien überhaupt erst wahrnehmen zu können.“

So könnte man den Bericht der NZZ als Sturm im Wasserglas bezeichnen, der hilft das publizistische Sommerloch zu füllen. Doch was ich problematisch finde, das ist die darin ausgesprochene Tendenz, Medienpädagogik auf Medienkritik zu verkürzen. Bereiche wie die Mediendidaktik, wo aufgezeigt wird, wie produktiv mit Medien im Unterricht gearbeitet werden kann, werden nicht erwähnt. Aber auch die Aufgabe, Studierenden in der pädagogischen Ausbildung Wissen zur Mediensozialisation oder grundlegendes Wissen aus den Medienwissenschaften zu vermitteln, wird ausgeblendet. Überall werden hier die Medien als zentrale Ressource für das Leben im 21. Jahrhundert betrachtet – und nicht unter der verkürzenden Formel: Medienpädagogik = (naive) Medienkritik.

Zum Schluss muss aber auch eine Lanze für die Medienkritik gebrochen werden: All die Vorgänge um die grossflächige Datenspionage, die in den letzten Wochen aufgeflogen sind, legen es auch aus aktuellem Anlass nahe, nicht einfach an gutwillige Medien zu glauben, die den heutigen Jugendlichen und Erwachsenen lediglich das Leben erleichtern wollen und Spass und Unterhaltung verschaffen. Je mehr das Internet durch kommerzielle und politische Interessen bestimmt wird, umso wichtiger werden hier auch medienkritische Einsichten. Studierende der PH Zürich haben in einer noch unveröffentlichten Untersuchung die Richtung angegeben, die sie für solche Aktivitäten wichtig finden. Sie wollen den Schülerinnen und Schülern durch Hinweise auf Gefahren der Medien keineswegs den Umgang mit Medien vermiesen. Vielmehr möchten sie diese durch medienkritische Aktivitäten „immunisieren“ und sie darin zu unterstützen, Medien als produktive Ressourcen in Schule und Freizeit medienkompetent zu nutzen. Das hat nun aber rein gar nichts damit zu tun, dass Medien „zum Abschuss“ freigegeben werden sollen,so wie es die beiden Autoren der Medienpädagogik pauschalisierend unterstellen.

22. Juli 2013

Lehrplan 21: Es droht das Verschwinden der Medienbildung

Es hört sich widersprüchlich an: Im Lehrplan 21 sind ICT und Medien erstmals klar und verbindlich positioniert und dennoch droht die Medienbildung damit im gleichen Zug als eigenständiger fachdidaktischer Bereich zu verschwinden.

Diese These hängt mit dem fachübergreifenden Konzept zusammen, dass im Bereich von ICT und Medien verwirklicht wird. Denn die Medienbildung erhält kein eigenes Fach in der Schule, sondern wird unter den „fachübergreifenden Themen“ geführt, die in den bestehenden Fächerkanon integriert werden. Rein taktisch gesehen ist dies eine kluge Lösung, da die Widerstände gegen ein eigenes Fach im Verteilungskampf der schulischen Fächer gross wären. Faktisch ist es zudem einleuchtend, dass Medien in fast allen Fächern der Schule eine Rolle spielen und deshalb dort auch ihren Platz beanspruchen.

Kompetenzen mit Querverweisen

Als Beispiel für diese integrierte Lösung soll hier ein Ausschnitt  zur Zielsetzung genommen werden, die wie folgt formuliert ist: „Die Schülerinnen und Schüler können über Primärerfahrungen, über Medien vermittelt oder in virtuellen Lebensräumen etwas über die Welt erfahren. Sie können sich in den verschiedenen Lebensräumen angemessen verhalten und kennen dabei die entsprechenden Gesetze, Regeln und Wertesysteme“ (S. 11)

Dazu sind folgende Kompetenzen formuliert:

Lehrplan 1

 

Ersichtlich wird hier, dass auf der rechten Seite Querverwiese auf die Lehrpläne anderer Fächer stehen. Für den integrativen Charakter der Medienbildung bedeutet dies, dass der Unterricht wohl in diesen Fächern erfolgt, also im Lehrplan „Sprachen“ oder „Natur, Mensch, Gesellschaft“. Problematisch ist dabei, dass dadurch der Bereich „Medien und ICT“ völlig aufgesplittert und beliebig wird – je nachdem, welche der Querverweise dann gerade im Unterricht aufgenommen werden.

Was dies bedeutet, wird klarer, wenn man die Querverweise in der zugeordneten Fachdidaktik nachschlägt – etwa die unter 1 a und b genannten: Im Lehrplan Sprachen findet man dazu unter dem Titel des monologischen Sprechens:

Lehrplan 2

Die Kompetenzen der Medienbildung lassen sich zwar auf die Formulierungen der Fachdidaktik Sprachen beziehen; dort geht es aber nur am Rand um Fragen einer Medienbildung. Wesentlich ist die Fähigkeit, Erlebnisse und Erfahrungen in Worte zu fassen oder Beobachtungen wiederzugeben. Die Intention der im Lehrplan ICT und Medien beschriebenen Kompetenzen sind hier keine schwergewichtigen Ziele mehr. Es könnte deshalb leicht passieren, dass diese im Zug der Stoffüberlastung in den Sprachfächern dann ganz vergessen gehen.

Unklare Zuständigkeiten

Noch problematischer ist es, wenn zu den Kompetenzen im Bereich der Medienbildung gleich eine ganze Auswahlsendung von Querverweisen mitgeliefert wird, wie etwa bei folgendem Beispiel:

Lehrplan 3

Es ist ja gut und richtig, dass die Nutzung der Medien für den eigenen Lernprozess in vielfältiger Weise erfolgen sollte. Doch hinter dem Potpourri der der Querverweise verschwindet der Gedanke der Medienbildung – nämlich, dass es darum geht, diese Auswahl der Medien medienkritisch zu begleiten und dabei die verschiedenen Möglichkeiten miteinander zu vergleichen. So bezieht sich einer dieser Querverweise auf die Schreibstrategien im Französischunterricht: „Die Schülerinnen und Schüler können eigene Schreibstrategien zielgerichtet anwenden, wenn sie nach Bedarf unterstützt werden (z.B. Informationen sammeln, Mindmap, Cluster erstellen, um den Text vorzustrukturieren, Vokabular in verschiedenen Medien selbstständig suchen, Text überarbeiten durch sorgfältiges Nachlesen und ins Reine schreiben).“ Auch hier spielen Fragen der Medienwahl wohl nur eine untergeordnete Rolle.

Zum Schluss  stellt sich die Frage, was mit den Inhalten geschieht, die keine Querverweise auf die Fächer enthalten. Auch sie müssen ja integriert und in einem Fachbezug unterrichtet werden. Fallen Sie vielleicht zum Vorneherein schon weg, weil sie gleichsam im luftleeren Raum stehen? Oder ist hier die Nische, welche für die Fachdidaktik ICT und Medien übrig bleibt?

Wer bildet für den Lehrplan aus?

Soweit sind Fragen des Unterrichts betroffen, die mich als Medienpädagoge nachdenklich stimmen. Dazu kommt aber auch die Frage nach der Vermittlung an der Hochschule. Wo sollen diese an den Schulfächern ausgerichteten Medieninhalte in der Lehrpersonenausbildung vermittelt werden? Sind es die Fachdidaktiken der Fächer, die in den Querverweisen bezeichnet sind, oder gibt es (weiterhin) eine eigenständige Fachdidaktik „ICT und Medien“ an den PH’s. Wenn man allein von den Querverweisen ausgeht, dann könnten die zugeordneten Fachdidaktiken ja  schnell zur Überzeugung kommen, eine eigenständige Fachdidaktik Medienbildung sei überflüssig. Ein unerwünschtes Szenario wäre es wohl, auf der einen Seite Professuren für Informatik zu schaffen und den Rest gleich an die einzelnen Fächer zu delegieren. Was so zukunftsweisend als Lehrplan „ICT und Medien“ daherkommt, könnte sich unter ungünstigen Umständen als Danaergeschenk entpuppen.

Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man als Vergleichsbeispiel den ebenfalls fächerübergreifenden Lehrplan zu Beruflichen Orientierung beizieht. Hier gibt es viel weniger Querverweise, und man spürt heraus, dass es um eine unbestrittene Thematik mit einem eigenen Schwergewicht geht. Auch die Verortung ist klar: „Es ist zu empfehlen, dass die Verantwortung für die Berufliche Orientierung in der Schule bei einer Klassenlehrerein oder einem Klassenlehrer liegt. Sie oder er kennt die Schülerinnen und Schüler in der Regel am besten und kann sie darum in dieser anspruchsvollen Phase individuell und professionell betreuen.“ (S.3)

Ein stützender Rahmen ist zwingend

Meines Erachtens hat dieser Lehrplan nur dann eine Chance, wenn er die fachdidaktischen Inhalte der Medien nicht einfach aufsplittert und verteilt. Vielmehr müssen in die Thematik der betroffenen Schulfächer breite Medienthemen einbezogen werden, die medienbildnerischen Überlegungen Raum und Inhalt geben. Wenn es schon kein Fach „Medien und ICT“ gibt, dann müssten in den zugehörigen Fächern zeitliche Gefässe geschaffen werden, wo gezielt und vertieft die Perspektive der Medienbildung Eingang findet. Genau darauf hätte die Fachdidaktik der Medienbildung die Studierenden vorzubereiten – und nicht die anderen Fachdidaktiken, deren Sichtweise von ganz anderen fachlichen Überlegungen bestimmt wird. Wenn es zutrifft, dass die Bildung der eigenen Persönlichkeit, der kulturellen Identität, der Erwerb personaler und sozialer Kompetenzen heute auch in der Auseinandersetzung mit Medien geschieht (S.1), so ist es unabdingbar, dass diese Auseinandersetzung in der Schule von medienpädagogisch geschulten Lehrpersonen aufgenommen wird.

Zudem wäre es sinnvoll, über die Schuljahre von den Schülerinnen und Schülern ein Portfolio Medienbildung erarbeiten zu lassen, das der fachübergreifenden Thematik der Medien einen festen Rahmen gibt und immer wieder auf wesentliche Gesichtspunkte der Medienbildung zurückführt. Darin könnte jener Kern der Auseinandersetzung mit den Medien deutlich werden, der sonst in der Zersplitterung der Medienbildungsinhalte zerfasert und verloren geht.

20. Juli 2013

Lehrplan 21: Ein Schritt zu einer breiten Medienbildung

Der gesamtschweizerische Lehrplan 21 wird auch einen Lehrplan „ICT und Medien umfassen“. Nachdem das offizielle Dokument publiziert ist, möchte ich darauf mit einigen Überlegungen eingehen und den Entwurf auch kritisch würdigen.

Man muss primär attestieren, dass es sich um einen grossen Schritt in Richtung Verankerung von Medieninhalten in der Schule handelt. So wird damit vom gesamten Lehrplanwerk der Schweizer Volksschule anerkannt, dass die heutige Lebenswelt von Medien durchdrungen ist und einen kompetenten und mündigen Umgang mit ihnen erfordert (S.1). Positiv ist auch, dass es gelungen ist, die vielerorts separierten Lehrplanteile einer „Informatik“ und einer „Medienerziehung“ zu integrieren. Allerdings ist mir uneinsichtig geblieben, warum durchgängig von „ICT und Medien“ gesprochen wird; geht es doch letztlich um eine Thematik, die man präziser als „Umgang mit digitalen Medien“ bezeichnen könnte (auch Bücher sind ja heute letztlich digital produzierte Medien).

Dementsprechend ist die Medienbildung breit aufgestellt, wobei sie sich an drei Kompetenzbereichen ausrichtet (S. 5):
– Kennen und Einordnen von Medien
– Auswählen und Handhaben von Medien
– Sich-Einbringen mittels Medien.

Schade ist allerdings, dass die Reflexion auf die Medien – als Kern der Medienbildung – nicht ebenfalls als autonomer Kompetenzbereich definiert wird, sondern in den Aspekt des Sich-Einbringens mittel Medien ausgelagert wurde. Zwar kommen in den konkreten Ausführungen zu Zielen immer wieder Reflexionsaspekte vor; wünschenswert wäre aber eine konsequente Akzentuierung der Medienkritik in einem eigenen Kompetenzbereich, wie er zum Beispiel bereits in den 90er Jahren von Dieter Baacke analytisch, reflexiv und ethisch angedacht wurde.

Die Konkretisierung der Kompetenzbereiche

Gelungen sind die Ausformulierungen von konkreten Zielsetzungen in den Kompetenzbereichen – etwa wenn es beim „Kennen und Einordnen von Medien“ unter fünftens heisst: „Die Schüler und Schülerinnen können Wirkungen der Medien aus sich erkennen und diese bei der Steuerung der Mediennutzung einbeziehen.“ Formuliert werden auf diese Weise – auf drei Altersstufen (sog. „Zyklen“) bezogen –  eine Art von Bildungsstandards, die dann weiter konkretisiert werden. Das beginnt mit sehr elementaren Zielen, wenn es etwa im Rahmen des 1. Zyklus heisst: „Die Schülerinnen und Schüler können Medien aus ihrem Lebensbereich benennen und über deren Inhalte sprechen.“ Auf der Ebene des 3. Zyklus wird es dann komplexer: „Die Schülerinnen und Schüler können argumentieren, wo Chancen und Risiken von Erfahrungen und Handlungen in der physischen Umwelt in medialen Welten und virtuellen Lebensräumen liegen.“ Insgesamt handelt es sich also um eine Spiralcurriculum, das geeignet ist, Erfahrungen aufzubauen und zu vertiefen. Allerdings wird man auf der untersten Ebene die Kinder nicht unterschätzen dürfen: Ob es hier wirklich ein Lernziel sein muss, Medien aus dem eigenen Lebensbereich benennen zu können, ist eher zweifelhaft. Das scheint mir schon fast zu selbstverständlich.

Der Reflex auf die Informatikdebatte

Was besonders auffällt, das ist die Reaktion auf die Debatte um den Informatikunterricht in der Schule. So wird im Kompetenzbereich „Kennen und Einordnen von Medien“ ein Akzent auf Datenstrukturen, Algorithmen und die Funktionsweise von informationsverarbeitenden Systemen gelegt. Die verstärkte Aufnahme von Inhalten um Datenstrukturen und Steuerung im Bereich von ICT ist dabei positiv zu werten. Die damit verbundenen Fragen sind in den letzten Jahren in der Diskussion um die Medienbildung etwas zu stark in den Hintergrund getreten.

Insgesamt scheint es mir richtig, auf der Volksschulstufe auf einen fächerorientierten Informatikunterricht zu verzichten, aber allgemeinbildendes Hintergrundwissen zur Informatik  im Unterricht aufzunehmen. Das ist ähnlich wie bei elektrischen Geräten, wo man wissen will, wie es funktioniert, wenn man den Strom ein- und ausschaltet. Problematisch erschiene es dagegen, das Programmieren unter der Analogie einer grundlegenden „Alphabetisierung“ in der Volksschule zu forcieren. Denn die technisch geregelten Computersprachen sind doch stark von der natürlichen Sprache zu unterscheiden. Dass die fachbezogene Anbindung der informatischen Kenntnisse lediglich an zwei Stellen in Richtung der Mathematik erwähnt wird,  zeigt allerdings noch Handlungsbedarf. Es wäre sicher sinnvoll im Rahmen der Fachdidaktik Mathematik einen noch stärkeren informatischen Akzent zu legen.

„Primäre Erfahrungen“ und Tastaturschreiben

An einigen Stellen wirkt der Lehrplan aber auch etwas altbacken. So wird mehrfach auf den Unterschied zwischen virtuellen und realen (primären) Erfahrungen Bezug genommen. An einer heisst es dazu: „ Die Schülerinnen und Schüler können an einfachen Beispielen Vor- und Nachteile von Primärerfahrungen, Medienbeiträgen und Erfahrungen in virtuellen Lebensräumen beschreiben (z.B. als Naturerlebnis, Film, Geschichte, Lernprogramm)“ (S.11). Hier wird die Medienpädagogik der 90er Jahre aufgenommen, wo das Verhältnis zwischen Virtualität und Realität bzw. der Flucht aus der Realität ein grosses Thema war. Seit den Web 2.0 und den Sozialen Medien wissen wird, wie stark diese beiden Bereich miteinander verflochten sind. Es sind keine unterschiedlichen Lebensräume, wie es die Autoren suggerieren. Um es ganz klar zu sagen. Für viele heutige Kinder und Jugendliche sind Medienerfahrungen in vielen Lebensbereichen auch zu Primärerfahrungen geworden.

Etwas merkwürdig wirkt der im Folgenden zitierte Abschnitt zum Tastaturschreiben:

Tastaturschreiben

Es wird hier richtig gefragt, wie stark das Zehnfingersystem in der Volksschule angesichts der ganz unterschiedlichen Eingabesysteme heutzutage noch bedeutsam sei. Schon auf dem Handy ist es ja kaum möglich mit zehn Fingern zu schreiben. Trotzdem soll dann schon im 1. Zyklus ergonomisch und „richtig“ getippt werden. Es sieht also so aus, dass das Zehnfingersystem dann doch wieder durch die Hintertür hereinkommt – und wenn auch nur im 2. Zyklus im Rahmen der individuellen Schulung mittels „geeigneter“ Tastaturschreibprogramme. Diese Bocksprünge sind nicht richtig nachzuvollziehen – vor allem wenn man sieht, wie schnell sich die Eingabesysteme in der digitalen Alltagswelt verändern.

Der zweite Teil der hier formulierten Überlegungen wird auf die Probleme eingehen, die man sich mit dem fächerübergreifenden Konzept der Medienbildung im Lehrplan 21 einhandelt. Diese sind meines Erachtens gravierend. Deshalb steht er unter dem Titel: „Lehrplan 21: Es droht das Verschwinden der Medienbildung“

6. Juli 2013

Lernen mit sozialen Medien – eine Rezension

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Nachdem Facebook und soziale Medien die Nutzung des Internets bei Jugendlichen immer mehr prägen, ist es auch für Schulen zu einem zentralen Diskussionsthema geworden. Da kommt es gerade richtig, wenn Philippe Wampfler einen Leitfaden zu diesem Thema geschrieben hat (Facebook, Blogs und Wikis in der Schule, Göttingen 2013). Denn nicht immer ist so ganz klar, was man mit Medien wie dem Facebook-Account in der Schule anfangen könnte – und ob vielleicht der Hype um die „Social Media“ nicht reichlich übertrieben ist.

Der Autor führt in seinem Buch erste einmal kundig in das Thema der sozialen Medien ein und betont, dass soziale Netzwerke im Kern aus Profilen bestehen, die im Austausch von Inhalten Beziehungen zueinander aufbauen. Mit anderen Worten: Es sind vor allem kommunikative Funktionen, welche diese bestimmen. Dabei ist die Reziprozität der Kommunikation besonders wichtig, wie sie unter dem Stichwort des Web 2.0 als partizipatives Mitmachnetz betont wird.

In diesem Zusammenhang sieht Wempfler ein enormes Potenzial für Schule und Schulentwicklung. So würden auch immer mehr Anwendungen entwickelt, welche die Bedürfnisse von Lehrpersonen berücksichtigen – etwa das Programm Facebook für Schulen mit dem dazugehörigen „Educators Guide“, der technische Grundlagen und Einsatzmöglichkeiten in der Schule zeige. Besonders zentral ist für den Autor der Beitrag der sozialen Medien zum Wissensmanagement:

„Der entscheidende Schritt ist, Social Media als ein Werkzeug für Wissensmanagement zu verstehen. Dazu müssen die Vorurteile ausgeräumt werden, auf Facebook würden hauptsächlich unterhaltsame Bilder publiziert und Twitter diene dazu, Kalauer zum Zeitgeschehen abzusondern. Fast alle relevanten Inhalte sind auch in Social Media präsent: Zeitungsartikel, Fachaufsätze und Studien werden verlinkt, kommentiert und diskutiert, in Netzwerken von Fachpersonen“ (S. 99).

Aber es geht dabei nicht nur um die Aneignung des Wissens, sondern im Sinne des Web 2.0 soll von Schülerinnen und Schülern sowie von Lehrpersonen immer mehr auch user generated content entwickelt werden. Das Lernen selbst verändere sich. Es werde individueller, freiwilliger und offener: „Dabei löst es sich von einem institutionellen Rahmen, der Zeit und Raum strukturiert. Immer häufiger treten neben schulisch strukturierte Lernprozesse private, selbstgesetzte, vernetzte“ (S. 107).

Es stellt sich so die Frage, welche Bedeutung die Institution  Schule in einer von Medien geprägten Zukunft noch haben wird. Schon heute ist nach Wempfler nicht auf die Schule angewiesen, wenn man eine Sprache wie Chinesisch lernen wolle. Apps und Smartphones ermöglichten hier ein multimediales Lernen – bis hin zum Austausch mit Chinesisch sprechenden Lehrerinnen und Lehrern.  Der Autor verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Videos der Khan-Academy, die heute schon vielen Jugendlichen als Nachhilfeunterricht in mathematisch-naturwissenschaftlichn Fächern dienten.

Was sich beim Lesen dieses Buches allerdings im Verlauf der Lektüre immer deutlicher zeigt, das ist die Herkunft des Autors aus dem Gymnasialbereich. Wenn es ums Recherchieren, um das Schreiben in Wikis und Blogs geht, sind es immer kognitive und kommunikative Aktivitäten, in denen die Social Media ihre Stärken beweisen. Doch die dabei vorausgesetzte sprachliche und argumentative Souveränität dürfte auf der Volksschulstufe noch weitgehend fehlen. Beim selbständigen Lernen in Projekten orientiert sich Wempfler denn auch am Gymnasium – etwa wenn er das „Freie Abiprojekt Methodos“ als Beispiel heranzieht. Dagegen wird das in der Schweiz wichtigste Netzwerk für die Volksschulen, das educanet², an keiner Stelle erwähnt – auch nicht dort, wo es um die persönlichen Lernnetzwerke geht.

Wie frei kann aber das Lernen in der Volksschule generell gestaltet werden? Hier geht der Trend im Moment eher auf die Standardisierung und die Festlegung sowie Überprüfung  von Grundkompetenzen hin. Auch der eben vorgestellte Lehrplan 21 beisst sich mit den vorgestellten Idealen einer dialogischen Kommunikation in Netzwerken, die – so Wempfler – „Standards und Hierarchien einer fundamentalen Kritik unterziehen“. Der Sympathie für offene Lernformen kann man sich anschliessen, allerdings mit drei Relativierungen:

1. Gerade in der Volksschule kann man die dialogischen Fähigkeiten (Schreiben, Lesen und Texte reflektieren) die bei der Arbeit in Netzwerken notwendig sind, nicht einfach voraussetzen. Etwas wenig steht jedoch im Buch dazu, wie diese Kompetenzen in Primar- und Sekundarschule schrittweise erst aufgebaut werden können. So fehlen zum Beispiel Hinweise zu den WebQuests, die geeignet sind Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zu selbständigem Arbeiten mit den Inhalten des Netzes zu unterstützen. Aber auch die Bedeutung des visuellen Lernens, das mit Fotos und Videos stark auch Veranschaulichung ermöglicht, tritt zu wenig deutlich hervor. Wie diese Seite des digitalen Lernens verstärkt genutzt werden kann, zeigt zum Beispiel das von uns an der PH Zürich durchgeführte Sekundarschul-Projekt zu visualisierten Berufswünschen im Berufswahlunterricht.

2. Zwar ist die Forderung, dass die Schule die zentrale Bedeutung von Kooperation, Dialog, Wissensmanagement  und persönlichen Netzwerken stärker anerkennen müsste gerechtfertigt. Allerdings schwingt in der Begeisterung für informelles Lernen, learner generated content und MOOCS (Massive Open Online Course) manchmal ein etwas euphorischer Ton hinein. So wird unterschätzt, dass in viele Lehrmittel auch ein inhaltliches und methodisches Knowhow einfliesst, das bei manchen holprigen Online-Vorlesungen auf MOOCS-Basis oder ad hoc entwickelten Lerneinheiten vermisst wird. Die Expertise der Fachdidaktiken sollte jedenfalls für die Gestaltung des Unterrichts nicht unterschätzt werden

3. Es stellt sich auch die Frage, ob es ausreichen würde, die Schule auf die Abgabe von Zertifikaten und Prüfungsleistungen zu reduzieren, während das Lernen selbst an Netzgemeinschaften und privates Engagement ausgelagert würde. Meines Erachten würde dann der heute viel beschworene digitale Graben erst richtig ausgehoben. Ehrgeizige Mittelschichteltern würden alles tun, um ihre Kinder mit den besten und ausgeklügeltsten Netzangeboten zu füttern, während die schwachen Schülerinnen und Schülern beim selbstorganisierten Lernmenü auf der Strecke blieben.

 

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