Digitale Medienbildung

5. Februar 2013

Digital Citizenship – eine neue medienpädagogische Perspektive

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Die Gefahren des Internets werden immer wieder in Presse und TV zum Thema gemacht. Gestern – 4.2.2013 wurde bei Frank Plasberg über „Handy an, Hirn aus – wie doof machen uns Apple und Co.?“ diskutiert. Und am 5.2.2013 hiess es in 20 Minuten Online: „Ein 47-Jähriger aus dem Berner Oberland gibt sich als sexy Mädchen aus, um an Nacktvideos von 15- bis 17-Jährigen zu kommen.

Bewahrpädagogisch kann man darauf mit Medienverboten reagieren und versuchen Kindern erzieherisch enge Grenzen zu setzen. Nur funktioniert dies in einer Gesellschaft immer weniger, die in den letzten Jahren immer stärker mediatisiert wurde – von Spielkonsolen, bis hin zu Smartphones und Laptops. Und schliesslich helfen blosse Verbote wenig, wenn es darum geht, einen sinnvollen Umgang mit digitalen Medien zu finden, wie es im Erwachsenenleben heute notwendig ist. Das führt zur Frage nach der  Vermittlung von Medienkompetenzen, um den Umgang mit Medien zu beherrschen. Auch das kann allerdings problematisch sein, denn die heutigen Medienkompetenzen sind möglicherweise in fünf Jahren wieder total veraltet. Und oft betonen Konzepte zur Vermittlung von Medienkompetenzen zu stark die technischen Aspekte der Mediennutzung.

Schwierig sind aber auch einseitige Wirkungshypothesen – also etwa die oben formulierte These, dass uns Apple und Co. Doof machen. Was man oft vergisst, ist die soziale Einbettung der digitalen Medien, über welche Wirkungen erst zustande kommen. Wenn man z.B. Facebook nimmt, dann sollte man nicht davon ausgehen, dass wohlmeinende Internetaktivisten dadurch das Kommunikationsverhalten der Menschen verbessern wollten (alle „liken“ sich auf Facebook). Vielmehr geht es bei den „Sozialen Medien“ um handfeste ökonomische Interessen, was nicht erst seit dem Börsengang von Facebook deutlich wurde. So ist es kein Geheimnis, dass die beworbene Produkte nur „gelikt“ werden wollen. An einem kritischen „Dislike“-Button ist denn auch keiner interessiert. Und dass immer mehr Produkte die User als Freunde aufs Netz lotsen wollen ist ebenfalls kaum überraschend.

Geht man von dieser sozialen Einbettung der digitalen Medien aus, so ist die Perspektive einer „Digital Citizenship“ interessant, die in der amerikanischen Medienpädagogik diskutiert wird. Wie etwa Mike Ribble betont, ist eine digitale Gesellschaft entstanden, die von der Erziehung bis zur Arbeitswelt und zur Ökonomie heute alle Bereiche betrifft. Jeder Alltag ist damit auch zum „digitalen“ Alltag und jeder Bürger auch zum „digitalen“ Bürger geworden. Was aber dieser neue Status des „digital citizen“ bedeutet und welche Anforderungen an diesen Bürger und einen verantwortungsvollen Umgang mit den digitalen Medien zu stellen sind, das scheint mir die zentrale Frage zu sein.

Hier hat allerdings auch das amerikanische Konzept von „digital citizenship“ seine Schwäche. So stellt Ribble neun Elemente vor, die dafür zentral seien – etwa der umfassende Zugang, der digitale Kommerz, digitale Literacy, digitale Etikette oder digitales Recht. Diese sollen den Schülerinnen und Schülern vermittelt werden, um den „richtigen“ Umgang mit den Medien zu lernen.

Nur ist da das grosse Problem, dass diese digitale Gesellschaft im Status des Werdens ist. Oft gibt es noch keine eindeutigen Regeln, die bereits vorliegen und nur noch angewandt und als klare Verhaltensregeln vermittelt werden können. So heisst es im Buch von Mike Ribble (S. 96):

„Scenario 2: When hanging out with friends, one student gets a cell phone call and conducts a conversation within the group. What is the proper etiquette when using a mobile phone in a public place?“ Doch was ist hier die „proper etiquette“? Je selbstverständlicher der Handygrbauch ist, desto stärker kann sich diese Etiquette verändern. Unter handygewohnten Jugendlichen nimmt man vielleicht den Anruf an und bezieht die umstehenden Kolleg/innen in Gespräch ein, während mancher ältere Handynutzer fast fluchtartig einen abgelegeneren Ort aufsucht.

Je stärker die digitalen Medien die Gesellschaft durchdringen, umso häufiger werden solche Situationen, wo es die eindeutige und klare Lösung nicht mehr gibt:

– Bei welchen Lebensereignissen darf man mit Email oder SMS reagieren – und wo wäre eine persönlichere Reaktion angefragt (Todesfälle, Hochzeiten etc.)

– Wo ist es von Vorteil, Texte auf einem Ebook zu lesen, und wo möchte man nach wie vor ein gedrucktes Buch oder ein gedrucktes Papier?

– Wie hat sicher der Musikmarkt mit dem Internet verändert und was bedeutet dies für das Urheberrechts

– Was versteht man unter Multi-tasking – und gibt es Situationen, wo dies spezifische Vor- oder Nachteile für das Lernen hat?

– Wo beziehe ich meine politischen Informationen – Online oder aus abonnierten Zeitungen und Zeitschriften?

Das Dilemma ist bei all diesem Fragen: Als Digital Citizen komme ich nicht darum herum, mir solche Fragen zu stellen und handhabbare Antworten zu finden. Doch diese Lösungen sind zu vielen Fragen nicht eindeutig. Alte Regeln werden brüchig, weil sie zur digitalen Gesellschaft nicht mehr passen; manches bleibt unverbindlich – oder es bilden sich neue Regeln erst langsam heraus.

Wenn es jedoch darum geht, dass digitale Bürger selbstverantwortlich in dieser neuen Gesellschaftsform handeln, kann dies auch eine medienpädagogische Chance darstellen. Anstatt fixe Lösungen durchzusetzen oder auf unsicheren Normen als den einzig Gültigen zu beharren, müsste es stärker darum gehen, die Problematiken zu verstehen, die dahinter stehen.  Erst dann kann beurteilt werden, ob sie als Lösungen für den digitalen Alltag tragbar sind. Denn wenn es darum geht, dass junge Menschen verantwortungsvolle digital citizens werden, dann müssten sie selber an der Herausbildung  und Gestaltung von digitale Lebensstilen beteiligt werden, welche in Zukunft das Fundament des Zusammenlebens darstellen.

Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die digitalen Netze nicht nur positive Seiten haben. Auch Kriminalität, Mobbing und Gewalt gehören dazu. Allerdings ginge es hier nicht primär um externe Verbote, Warnungen und alarmistische Botschaften. Im Sinne des Empowerment müssten Kinder und Jugendliche hier vor allem angeleitet werden, wie sie sich als digitale Bürger verantwortungsvoll verhalten und sich gegen Übergriffe wehren können.

22. Juli 2012

Sherry Turkle und ihr Wandel zur Kritikerin der digitalen Medien

Verloren unter 100 Freunden, Sherry Turkle, Soziologie

Sherry Turkle, Verloren unter 100 Freunden. Wie wir in der digitalen Welt seelisch verkümmern, München 2012 (Riemann)

Sherry Turkle, Professorin am MIT war unter den Ersten, welche die soziale Funktion der Arbeit mit Computern untersucht hat. Als gelernte Psychoanalytikerin interessierte sie sich schon früh für die virtuellen Welten des Chats und kam zum Ergebnis, dass Jugendliche hier eine Art psychosoziales Moratorium ausleben können, in welchem sie mit ihrem Persönlichkeitsprofil spielen – indem sie z.B. Geschlecht oder Alter verändern.

Nun hat Sherry Turkle mit einem Buch zu Facebook-Generation wieder zugeschlagen. Als Leser fällt zuerst der Umfang des Buches auf – 569 Seiten. Und das ist auch der grösste Ärger dieses Buches. Es berichtet in unzähligen Anekdoten und Aussagen von Jugendlichen mit Furby-, Facebook- und Handy-Erlebnissen die sich oft einfach wiederholen. Dabei handelt es sich nicht um eine kontrollierte qualitative Studie; zu locker sind die von Turkle geführten Gespräche im Buch verarbeitet. Insgesamt nimmt Turkle nochmals alle Aspekte aus dem Zettelkasten ihrer früheren Bücher auf und berichtet detailbesessen vom Umgang mit Robotern und Spielzeugen wie den Furbys. Ein Lektorat, das dieses Buch etwa um die Hälfte gekürzt hätte, wäre hilfreich gewesen und würde es  lesbarer machen.

An sich ist die Lektüre dennoch – vor allem wegen des zweiten Teils –lohnend. Denn Sherry Turkle dokumentiert mit ihrem Buch auch, wie sie sich über die Jahre zur Computer-Skeptikerin entwickelt hat. Das macht schon der Titel deutlich: „Verloren unter 100 Freunden. Wie wir in der digitalen Welt seelisch verkümmern.“ Die Kommunikation mit Handys, SMS und über Facebook ersetzt danach zunehmend die direkten persönlichen Gespräche. Dabei geht bei dieser elektronischen Kommunikation alles sehr rationell und man erhält das Gefühl, vernetzt und jederzeit erreichbar zu sein. Zudem schütze einen die digitale Kommunikation davor, dass man wenig kühle oder ablehnende Reaktionen erhält. Denn einer der Vorteile dieser Form der Kommunikation sei es dass man sich hinter der bewussten Nonchalance verstecken könne und alles unter Kontrolle hat (S. 337). Was dies bedeutet, zeigt Turkle am Beispiel von Bradley und Audrey, welche diese Situation als Paradoxon erleben: „Man starrt auf den Computer-Monitor auf dem Schreibtisch oder das Smartphone-Display in seiner Hand. Sie sind passiv und sie gehören einem; das verspricht Sicherheit und Akzeptanz. Im Konkon der elektronischen Nachrichtenvermittlung stellen wir uns unsere Gesprächspartner so vor, wie wir sie gerne hätten; wir schreiben an jenen Teil von ihnen, der uns ein Gefühl von Sicherheit gibt“(S. 435). Ähnlich bei den Eltern, die per Handy dauernd in Verbindung mit ihren Eltern sind. Turkle nennt sie „Helikopter-Eltern“, die allgegenwärtig über ihren Kindern schweben – obwohl sie eigentlich gar nicht wissen, was sie konkret tun (S. 417).

Zwiespältig sind auch Facebook-Kontakte – etwa wenn es um den Wahrheitsanspruch des eigenen Profils geht. Turkle zitiert die achtzehnjährige Nancy: „‘Einerseits ist der Wahrheitsanspruch gering, weil eigentlich niemand die Angaben überprüft‘. Dann verzieht sie das Gesicht und sagt: ‚ Nein, andrerseits ist der Anspruch hoch. Alle anderen schauen, ob du die Wahrheit sagst‘“(S. 312). Dies zeigt, dass Facebook kein virtuelles Medium ist, wo man sich eine künstliche Identität zulegen kann – weil man die „Freunde“ aus dem Alltag kennt. Und dennoch wünscht man sich, etwas vorteilhafter vorzustellen, als man vielleicht wirklich ist. Doch wann ist die Grenze überschritten, wo das nicht mehr akzeptiert wird.

Das alles sind neue Probleme der digitalen Welt. Doch sie laufen alle auf die Frage zu, wie es denn mit den tieferen und persönlichen Gefühlen bestellt sei. So meint Turkle: „Die Bande, die wir im Internet knüpfen, sind letztlich nicht die Bande, die uns aneinander binden. Aber sie beschäftigen uns fortwährend. Wir verschicken ständig Nachrichten: beim Abendessen mit der Familie, beim Joggen, beim Autofahren, auf dem Spielplatz mit unseren Kindern.“(S. 469).

Es ist wichtig, dass die kritischen Bemerkungen zu den sozialen Medien diskutiert werden – zumal der grösste Hype schon wieder vorbei zu sein scheint. So nehmen in den USA die Facebook-Mitgliedschaften wieder ab, und auch bei uns stellen sich Handy-User immer häufiger die Art von Fragen welche das Buch von Turkle prägen. Das bedeutet nicht, dass die digitalen Medien einfach wieder aus unserem Leben verschwinden werden. Aber sie müssen noch jenen Platz im Alltag finden, der sie in sinnvoller Weise in den Alltag integriert. Und dazu kann das Buch von Turkle einen Denkanstoss geben.

11. Juli 2012

Im Auge des Handykriegs – ein Besuch an der Dokumenta13

Filed under: Digital Life,HAndy,Internet,Mediengewalt — heinzmoser @ 20:08
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Kunst ist heute multimedial orientiert – das zeigt die Dokumenta 13 mit ihren vielen medial inszenierten Installationen, den Videos, der Fotokunst. Als Beobachter der Medienwelt hat mich vor allem eine Installation tief berührt – nämlich die Handyaufnahmen aus Syrien, die Rabih Mroué aus Beirut im Hauptbahnhof (The pixelated Revolution) präsentiert. Zuerst sieht man im Raum nur  verschwommene Grossaufnahmen von Menschen, die offensichtlich aus der Perspektive eines Handys fotografiert wurden. Sie richten ihre Waffen auf den Betrachter – und dann haben sie wohl geschossen. Doch die verschwommenen Mörder bleiben weiterhin unbekannt.

Mroué hat hier Videos von YouTube zusammengestellt, die immer die gleiche Situation aus dem syrischen Aufstand zeigen: Aufständische wollen mit ihren Handys die brutale Unterdrückung dokumentieren und werden dabei selbst erschossen, in Homs, Hama oder Duma. Sie benutzen das Handy wie einen Teil ihres Körpers und werden zum Opfer, weil sie die Gefahr zu spät realisieren und kaum bemerken, wie auf sie gezielt wird?

In einem Video das in demselben Raum gezeigt wird versucht der Künstler eine Erklärung des Geschehens: Die Handyfotografen sind so in ihr Geschehen vertieft, das einer virtuellen Gemeinschaft angehört, der gegenüber sie Zeugnis ablegen, dass sie die Realität gar nicht mehr richtig wahrnehmen. Sie fotografieren, wie das Rohr eines Panzers langsam gegen sie gerichtet wird – und vergessen, dass sie selbst es sind, die direkt in die Schusslinie geraten.  Das Handy wird so zum Auge, das den Gegner fixiert und dann das eigene Sterben dokumentiert. Rabi Mroué im Interview mit dem Deutschlandradio: „ Für mich ist die Re-Inszenierung ein wichtiges Mittel, um einen Abstand herzustellen, denn die Videos zeugen wirklich von großer Gewalt, selbst wenn man kein Blut und keine Leichen sieht. Man weiß, hier geht es um „double-shooting“: um den Augenkontakt zwischen Kameramann und Scharfschützen, und dann hört man einen Schuss, der das Mobiltelefon traf. Wir wissen nicht, ob der Filmende verwundet, getötet oder gerettet wurde. Die Tatsache, dass das Handy von einer Kugel getroffen wurde und auf den Boden fiel, ist bereits Ausdruck großer Gewalt.“

Man erschrickt an diesen Szenen, weil sie zeigen, wie wir glauben, dass die Medien eine Verlängerung unseres physischen Körpers sind, die uns dem Schutz einer globalen Gemeinschaft unterstellen. Wenn wir und Öffentlichkeit verschaffen scheinen wir unangreifbar. Und als Betrachter der Videos nehmen wir selbst die Perspektive der Opfer ein – wir sind es, auf die eine verschwommene Gestalt plötzlich zielt und abdrückt.  Doch welches Glück, wir leben…

2. Mai 2012

„Handysüchtige Jugendliche“ oder: Wie doof darf Forschung sein?

Filed under: HAndy,Internet,Medienforschung — heinzmoser @ 20:16
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Die neuste Ausgabe der Sonntagszeitung titelte am 29. April 2012: „40 000 JUGENDLICHE SIND HANDYSÜCHTIG“ – eine These die von einer neuen wissenschaftlichen Studie bewiesen wird. Dazu die Sonntagszeitung: „Erstmals untersuchten die Forscher den Umgang von Jugendlichen mit Handys in der Schweiz. Dazu befragten sie rund 1300 junge Erwachsene zwischen 12 und 19 Jahren in allen Landesteilen.“

Es erstaunt allerdings nicht, dass man einen Anteil „handysüchtiger Jugendliche“ – also intensive Handynutzer – findet, wenn man eine bestimmte Population von Nutzern befragt. Und dazu lässt sich dann immer eine alarmistische Schlagzeile formulieren, wenn man die Ergebnisse geschickt hochrechnet.

Würde man eine solche Untersuchung mit Erwachsenen durchführen, würde man genauso folgern, dass viele Erwachsene handysüchtig sind. Man muss ja nur am Morgen mit der S-Bahn in die Stadt Zürich fahren, um zu sehen, wie viele Mitmenschen an ihren Handys hängen. Überhaupt: Wer durch die Stadt geht, sieht überall von Handys angefixte Menschen – viel schlimmer als der „Needle- Park“ der Achtzigerjahre, der wenigstens auf ein bestimmtes Revier beschränkt war.

Laut den Forschern  verlockt vor allem die Multifunktionalität der modernen Mobiltelefone zur übermässigen Nutzung. «Mit dem Handy kann man heute fast alles machen, und man hat es immer dabei.» Dies führe zu einer besonderen emotionalen Bindung. „Das Handy hat die Funktion eines Kuscheltiers“, heisst es im Artikel. Dies ist vielleicht keine abwegige Beobachtung. Sie betrifft jedoch viele Erwachsene genauso wie die Jugendlichen.

Billig sind auch die Schlüsse, die in diesem Artikel gezogen werden. „Die Folgen: Die jungen Menschen kommen in der Schule nicht mehr mit und vernachlässigen soziale Kontakte.“ Genauso gut könnte man behaupten, dass es auch Erwachsene gibt, die ihre Arbeit wegen der Handys vernachlässigen und dadurch Schwierigkeiten am Arbeitsplatz kriegen. Wir beobachten ja immer wieder, dass Menschen ihren Handykonsum übertreiben und nicht wissen, wann Schluss ist.

Warum aber das Handy, wie im obigen Zitat behauptet, zur „Vernachlässigung der sozialen Kontakte“ führen soll, ist  mir nicht einsichtig. Vielmehr ist es doch mit seinen sozialen Diensten in die Art und Weise einbezogen, wie Jugendliche heute ihre Freizeitkontakte managen.

Die Frage stellt sich zudem generell, was „Sucht“ im Bereich der Medien bedeutet, bzw. wie dieser Begriff hier zu definieren ist. Medienpsychologe und Studienverfasser Gregor Waller behauptet jedenfalls: „Die Resultate zeigen, dass tatsächlich eine Handyabhängigkeit als eigenständige Suchtart existiert und dass davon Tausende Jugendliche in der Schweiz betroffen sind“.  Darf ich Ihnen als Leserinnen und Leser dieses Blog dazu noch folgendes Zitat vorlegen: „‘Die Befragten spüren Euphorie, wenn sie eine SMS oder einen Anruf bekommen‘, so Waller.“  Hand aufs Herz: Ist es Ihnen nicht auch schon so gegangen, wenn Sie ihr Smartphone in der Hand halten?

Was hier modisch verbrämt neu aufgelegt wird, sind die alten bewahrpädagogischen Kamellen des letzten Jahrhunderts: Schon in den Sechzigerjahren grassierte die Fernsehsucht und 20 Jahre später dann die ebenso gefährliche Computersucht – alles akribisch bewiesen durch empirische Daten. Was neu dazu kommt, ist höchstens die Tatsache, dass Forschende (aber auch Pädagog/innen) selber  kaum mehr ohne ihr iPhone auskommen – während früher die Medienkritiker  bewusst auf das Teufelszeug von Fernsehen und Computer verzichteten. Und vielleicht ist es denn auch das schlechte Gewissen, das man dann gerne auf die „gefährdeten Jugendlichen“ projiziert.

Es ist manchmal merkwürdig, wenn man in einem Hochschulseminar über die Gefahren des Internets für Kinder und Jugendliche diskutiert – im Wissen darüber, dass die Mehrzahl der Studierenden nicht ohne Smartphone auskommt.  Und noch schlimmer ist hier die „Internetsucht“. Als ich vor einigen Wochen eine medienlose Woche vorschlug, klammerte man das Internet schon deshalb als „unmöglich“ aus, weil Studierende ja auch Studienaufgaben im Internet oder auf einer Lernplattform lösen müssen. Als Dozent für Medienpädagogik gibt man da schnell klein bei – weil man sich ja in eigene Fleisch schneidet, wenn die Studierenden auf „Internetentzug“ sind.

Ja, vielleicht sind wir alle süchtig. Ich gebe es ja zu, dass ich auch ein Smartphone besitze– und dass das auch fast automatisch Abhängigkeiten erzeugt. Da müssen wir doch wenigstens versuchen, Jugendliche und Kinder davon fernzuhalten…

PS: Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser übrigens gemerkt, dass ich bei den Erwachsenen einen Satz eingeschmuggelt habe, der im Originalton der Sonntagszeitung auf Jugendliche gemünzt ist? Hier deshalb das Originalzitat: „Im Fokus steht auch die Schule: Beat W. Zemp, Präsident des Schweizer Lehrerverbandes, kennt das Problem: ‚Wir beobachten immer wieder, dass Jugendliche ihren Handykonsum übertreiben und nicht wissen, wann Schluss ist.‘“

24. März 2012

Warum das Handy-Angebot von Pro Juventute eine Mogelpackung ist

Nachdem der Briefmarkenverkauf nicht mehr so rund läuft wie zu früheren Zeiten, sucht Pro Juventute neue Geschäftsfelder – seit neustem eine Partnerschaft mit dem Handy-Provider Sunrise. Das neue Angebot Primobile soll die Eltern mit „zuverlässigen und wenig zeitintensiven Leitplanken“ in ihrer Medienerziehung stärken. Vollmundig versprechen Pro Juventute und Sunrise, mit der Förderung von Medienkompetenz einen Weg zu öffnen, um Kinder altersgerecht mit den Chancen und Risiken der neuen Medien vertraut zu machen.

Doch wie sieht die Förderung der Medienkompetenz in Wirklichkeit aus? Gemäss einer Pressemitteilung von Pro Juventute beinhaltet das Basisangebot von Primobile die unlimitierte Kommunikation via SMS und unlimitierte Anrufe, beides auf vier frei wählbare Basis-Rufnummern zum Pauschalpreis von CHF 249.- pro Jahr. Verbunden ist dieses mit einem passwortgeschützten Internetportal namens Cockpit. Damit können die Eltern dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechende Zusatzangebote freischalten. So kann das Kind Schritt für Schritt auf weitere Rufnummern und das mobile Internet zugreifen. Dazu laden die Eltern per Post, Kreditkarte, Gutschein oder Refill-Karte ein entsprechendes Guthaben auf die SIM-Karte. Primobile lasse sich so laufend dem Entwicklungsstand des Kindes anpassen und schütze Kinder und Jugendliche vor nicht kindgerechten Inhalten und den damit verbundenen Gefahren.

Offen gesagt: Was als Förderung von Medienkompetenz daherkommt, ist eigentlich nur eine raffinierte Verbotsstrategie: Eltern verbieten die freie Nutzung des Handys und entscheiden, wann sie der Meinung sind, ihre Kinder verfügten über die „Medienkompetenz“ für den nächsten Schritt. Mit Anpassung an den Entwicklungsstand der Kinder hat das gar nicht zu tun.

Wann haben die Kinder die Kompetenz entwickelt, „ bis zu sechs weitere Rufnummern zu definieren, mit denen das Kind (kostenpflichtig) kommunizieren kann)“? Und wann sind sie 10- oder 20-Nummern-Kinder? Wie lange geht es dann, bis Kinder entwicklungsmässig so weit sind, dass sie auch das Internet nutzen können? Bei den Geräteempfehlungen von Pro Juventute heisst es denn auch: „Das Samsung C3350 verfügt nicht über WLAN. Wir empfehlen, dass Sie Ihrem Kind erst dann ein WLAN-fähiges Gerät überlassen, wenn Sie ihm einen selbstständigen und kompetenten Umgang mit dem Internet zutrauen.“ Es geht also gar nicht um Medienkompetenz, sondern um das, was Eltern ihren Kindern zutrauen oder nicht.

Schön ist es natürlich auch, dass die Gespräche mit den 4 Basis-Rufnummern werden nach 60 Minuten unterbrochen werde – „zum Schutz Ihres Kindes vor Strahlung und damit Ihr Kind sein Nutzungsverhalten regelmässig reflektieren kann.“ Nur: Welches neunjährige Kind telefoniert eine Stunde am Stück mit seinem Handy?

Doch wie will man Medienkompetenz fördern, wenn man alles verbietet, womit man diese Kompetenz üben und lernen kann? Die Fähigkeit, das Internet zu nutzen, lernt man doch, indem man damit Erfahrungen macht. Zu warten, bis die Fähigkeit am Tag X vom Himmel fällt, um dann die Option freizuschalten, ist schlicht eine unsinnige Vorstellung. Da muss Pro Juventute etwas falsch verstanden haben. „Verantwortungsvoll umgehen mit dem Handy“ lernt man nur, wenn auch Spielräume bestehen – und nicht, indem man diese auf vier Basis-Rufnummern einschränkt. Viel gescheiter ist es, wenn Eltern anstatt Primobile ihren Kindern ein normales Prepaid-Handy zur Verfügung stellen – mit einem festgelegten Guthaben, das sie selbständig verwalten können. So lernen sie ohne Verbote der Eltern mit beschränkten Mitteln ihr Handy so zu nutzen, wie es ihren Bedürfnissen, aber auch ihren (finanziellen) Möglichkeiten entspricht.

Primobil ist ein völlig unnötiges Angebot, das kommerziell auf undefinierte Ängste der Eltern reagiert – und letztlich verhindert, dass Kindern mit ihrem Handy medienkompetent umgehen.  Ganz richtig schätzt sein neues Angebot Oliver Steil, CEO von Sunrise Communications ein: „Mit Primobile bringen wir ein Mobilfunkangebot auf den Markt, das genau den Bedürfnissen vieler Eltern entspricht.“ Eben: es entspricht den Eltern und nicht den Kindern!

13. Februar 2012

Apple – die kleine (oder auch grössere) Verführung der Schulen

Filed under: HAndy,Medien,Medienpädagogik — heinzmoser @ 11:55

Apple lanciert Grossangriff auf Schweizer Bildungsmarkt“ titelt der heutige TagesAnzeiger in seiner Online Ausgabe. Dies ist nach dem Artikel der Hintergrund: „Der Computer- und Softwarekonzern Apple  plant zurzeit eine Marketing-Strategie zur Eroberung des Schweizer Bildungsmarktes. Im Fokus stehen dabei die Lehrer, die für eine maximale Verbreitung von Apple-Produkten an Schulen sorgen sollen, wie die Zeitung «Sonntag» schreibt.“ Und wenn  man dann auf den „Sonntag“ zurückgreift, so heisst es dort:

„Nach Angaben des internationalen Forschungsinstituts Gartner hat Apple im Schweizer Bildungsbereich bereits einen Marktanteil von 70,4 Prozent. Und das ist erst der Anfang: Mit Geräten wie dem iPad und neuer Lern-Software wird die Marktmacht weiter wachsen.“

Nun ist Apple schon immer in schweizerischen Bildungssystem führend gewesen – als „kleine, aber feine“ Alternative zu Windows. Davon scheint Apple heute noch zu zehren, wenn die Firma zum Halali auf die schweizerischen Schulen bläst. Doch eines sollte man nicht vergessen: Apple ist mit seinem geschlossenen System heute selbst zum Monopolisten geworden, der alles tut, um seine Marktmacht auszuspielen. So wird ja genauestens überwacht, was in Apples App-Shop noch durchgeht. Und im Streit zwischen Apple und Samsung wird mit knallharten Bandagen gefochten.

Doch die traditionelle Rolle des gefürchteten Herausforderers des globalen Drachens namens „Windows“ wirkt im Bildungsbereich bis heute nach. So ist es kein Wunder, dass es in der Schule heute primär von  iPhones oder iPads gesprochen wird, nicht aber von androidbasierten Lösungen. Denn Apple gewinnt nach wie vor alle Sympathiepunkte.

Ich möchte hier – selbst iPhone User – allerdings nicht einfach applekritisch argumentieren. Gerade mit dem iPhone kann  man im Unterricht der Schulen viel anfangen – etwa wenn man damit kleine Videos aufnimmt und mit iMovie dann noch bearbeitet. Trotzdem ist es merkwürdig, wenn Lehrerinnen und Lehrer, die für OpenSource Produkte werben, dann letztlich doch wieder vorbehaltlos auf Apple stehen. Grundsätzlich geht es doch einfach um guten Unterricht, der mit digitalen Medien realisiert werden kann. Ob dies mit Apple, mit Windows oder vielleicht sogar mit Android-Geräten erreicht werden kann, müsste  für alle Vertreter des Bildungssystems zweitrangig sein. Was aber am Wichtigsten ist: Wir brauchen keinen Monopolisten – auch wenn  er Apple heisst, der letztlich mit seiner Marktmacht bestimmt, wie der über Medien vermittelte Unterricht in den Schulen aussieht.

31. Januar 2012

Videos mit dem iPhone – eine Herausforderung für die Schule

Filed under: HAndy,Medien,Medienpädagogik — heinzmoser @ 21:27

Diese Woche gab es für die Studierenden der PH-Zürich eine Kompaktwoche, in welchem sie mit verschiedensten Medien arbeiteten – u.a. mit einem Auftrag, sich mit einem selbstgedrehten Video vorzustellen. Neben Camcorder und Digicam stellte ich auch die Möglichkeit zur Wahl, mit einem iPhone Videoclips aufzunehmen und dann gleich auf dem Phone zu schneiden. Was als Alternative vorgestellt wurde, hat die Studierenden gepackt. Die Mehrzahl versuchte zu meiner Überraschung gleich die iPhone Variante auszuprobieren – mit erstaunlich positivem Ergebnis. Das waren natürlich keine ästhetisch hervorragenden Filme – aber von der Qualität erstaunlich gut. Auch wer mit Filmen noch kaum Erfahrungen hatte, konnte in einem einzigen Nachmittag einen ansprechenden Videoclip realisieren.

In der Computerzeitschrift „Chip“ stand vor einiger Zeit zum Handyfilmen:

Den Komfort einer Desktop-Schnittsoftware erreicht iMovie fürs iPad nicht, aber es macht Spaß, sich Filmschnipsel, Effekte und Sounds per Fingertipp zusammenzustellen. Mit Multitouchgesten streckt und staucht man einzelne Sequenzen oder taucht eine Stufe tiefer in den Präzisionseditor ab.( http://www.chip.de/downloads/iMovie-iPhone-_-iPad-App_43619127.html)

Geht man davon aus, dass in den nächsten ein bis zwei Jahren immer mehr Kids über ein Smartphone verfügen werden, ist das eine valable Möglichkeit, im Unterricht aktives Filmen einzusetzen – z.B. für Interviews, Selbstdarstellungen, filmisch formulierte Arbeitsaufträge etc. Eine Studentin brachte es auf den Punkt: „Anstatt in der Schule die Handys zu verbieten, zeigt sich hier, dass man diese auch sinnvoll für Unterrichtszwecke einsetzen kann.“

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